Editorial

Buchbesprechung

Winfried Köppelle




Dumonts Botanisches Kabinett 2014
Kalender
Verlag: Dumont Kalenderverlag; Auflage: 1 (28. Mai 2013)
Sprache: Deutsch
ISBN-10: 3832025111
ISBN-13: 978-3832025113
Größe und/oder Gewicht: 51,6 x 41,8 x 1,2 cm
EUR 25,00



Naturtafeln 2014 (6+1 Blätter, 50 x 70 cm)
Kalender
Verlag: Dumont Kalenderverlag; Auflage: 1 (28. Mai 2013)
Sprache: Deutsch
ISBN-10: 3832024816
ISBN-13: 978-3832024819
Größe und/oder Gewicht: 68,5 x 49,4 x 0,4 cm
EUR 28,00



Verborgene Welten 2014 (12+1 Blätter, 50 x 70 cm)
Kalender
Spiralbindung: 12 Seiten
Verlag: Dumont Kalenderverlag; Auflage: 1 (28. Mai 2013)
Sprache: Deutsch
ISBN-10: 3832024727
ISBN-13: 978-3832024727
Größe und/oder Gewicht: 68,5 x 48,8 x 1 cm
EUR 35,00



Nature 2014 – Helmut Hirler (12+1 Blätter, 34 x 100 cm)
Kalender
Verlag: Dumont Kalenderverlag; Auflage: 1 (28. Mai 2013)
Sprache: Deutsch
ISBN-10: 3832026185
ISBN-13: 978-3832026189
Größe und/oder Gewicht: 100,4 x 33,8 x 0,8 cm
EUR 40,00

Ganz nah, ganz groß
Vier Wandkalender für Biologen

Das Jahr neigt sich dem Ende zu, Tapeten- und Kalenderwechsel ist angesagt: Vier prächtige Wandkalender zum Verschenken und Selbstaufhängen.

Der Mann mit der schicken Grauhaarperücke besaß einen untadeligen Ruf in der Nürnberger Bürgerschaft. Doch der Prototyp des geduldigen, sich bis spätabends für seine Patienten aufopfernden Hausarztes war er nicht gerade: Christoph Jakob Trew, 1695 im fränkischen Lauf an der Pegnitz geborener Apothekersohn, verfolgte einfach zu viele Nebenbeschäftigungen – die meisten davon drehten sich ums Sammeln irgendwelcher Dinge.


Foto: Eye of Science/Meckes & Ottawa

Und so fröhnte Trew, statt sich tagaus, tagein um die Zipperlein seiner Patienten zu kümmern, lieber anderen Leidenschaften: Auf botanischen Expeditionen fahndete er nach exotischen Heilpflanzen für seinen hortus medicus, das von ihm betreute theatrum anatomicum versorgte er mit Leichenteilen, seine private Bibliothek naturkundlicher Schriften wollte gehegt und auf ihre letztlich 34.000 Bände vergrößert werden, und bei der von ihm gegründeten medizinischen Fachzeitschrift Commercium litterarium ad rei medicinae et scientiae naturalis fungierte der angesehene Arzt als Herausgeber.


Portrait des Nürnberger Naturforschers Christoph Jakob Trew, veröffentlicht in seinem Werk Plantae selectae.

Daneben sammelte der Vielbeschäftigte Briefe wie andere Leute Briefmarken: Bei seinem Tod hinterließ Trew 74-jährig die weltweit größte bekannte Briefsammlung mit medizinisch-/naturwissenschaftlichem Schwerpunkt – ein historisch einmaliger Fundus aus über 19.000 Handschriften, verfasst von über zweitausend Geistesgrößen aus drei Jahrhunderten. An der Uni Erlangen-Nürnberg entstand in den vergangenen Jahrzehnten ein 776-seitiger Katalog samt Datenbank, in der die „Trewsche Kollektion“ zu Forschungszwecken inventarisiert ist.

Zeitgenosse Carl von Linnés

Das fränkische Multitalent war aber nicht nur Allgemeinarzt, medizinischer Grundlagenforscher und Universitätsdozent. Er betätigte sich auch als Botaniker (Autorenkürzel „Trew“). Sein Zeitgenosse Carl von Linné höchstpersönlich taufte die ostindische Wolfsmilchgewächsgattung Trewia nach dem Nürnberger.

Bekannt wurde Trew auch durch das von ihm herausgegebene Werk Plantae selectae. Es erschien in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts und gilt als eines der schönsten und prächtigsten Pflanzenwerke der deutschen Geschichte. Die vom seinerzeit prominenten Maler Georg Dionysius Ehret (1708-1770) verfassten Aquarelle ließ dessen Zeitgenosse Johann Jacob Haid (1704-1767) in Kupfer stechen, drucken und kolorieren – das Ergebnis sind herrlich detailgetreue Wiedergaben der von Trew für sein Buch ausgewählten Flora.

Im Original befindet sich diese bibliophile Kostbarkeit in der Staatsbibliothek zu Berlin (Unter den Linden 8), der mit zehn Millionen Büchern größten wissenschaftlichen Universal­bibliothek Deutschlands, und kann dort auf Anfrage eingesehen werden. Wer dazu keine Zeit hat, dem sei ersatzweise Dumonts Botanisches Kabinett 2014: Christoph Jacob Trew ans Herz gelegt. Dieser prächtige, spiralgebundene Wandkalender im Hochformat enthält auf 42 mal 52 Zentimetern zwölf Bildtafeln aus Plantae selectae und verbreitet (im positiven Sinne) erhabene Museums-Atmosphäre in Labor, Mikroskopierraum oder wohin man sich diesen Kalender auch hängt. Eine gute Tat ist der Kauf dazu, denn Dumont unterstützt das hauptstädtische Museum finanziell bei der Restaurierung bibliophiler Kostbarkeiten.

Charme der Schulzeit

Bleiben wir bei der klassischen Biologie. Vom Format her eine Nummer größer als der eben beschriebene Wandverschönerer ist der Naturtafeln 2014-Posterkalender. Auf 50 mal 70 Zentimetern und sechs Blättern (je zwei Monate pro Blatt) sind tierische Lebensräume mitsamt ihrer typischsten Bewohner zu bewundern. Einige von uns kennen diese Bilder bestimmt noch als Lehrmaterial aus der Kinder- und Schulzeit oder auch aus Heimatfilmen der 1970er-Jahre – naiv gezeichnet und mit angestaubtem Charme, und doch eine geheimnisvolle Faszination auf den Betrachter ausübend.

Was ist zu sehen? Einen Ausschnitt tropischen Regenwalds gilt es in den Monaten Januar/Februar zu erforschen, eng bevölkert mit Tukan, Brüllaffe, Abgottschlange, Dreizehenfaultier und deren Lebensgenossen. In den Monaten März/April wird dem Betrachter die heimische Bachfauna präsentiert (Köcherfliege, Eisvogel, Bachfrosch und so weiter), es folgen eine 28-köpfige Auswahl bekannter Singvögel in Park und Wald, das „Leben im See“, die „Bewohner des Hochmoors“ und schließlich im November/Dezember 24 typische gefiederte Gäste am heimischen Futterhäuschen. Auch wenn die verwendeten Motive auf manch unbedarften Betrachter eher bieder wirken – in den letzten Jahren wurde dieser Kalender innerhalb der Grafikerzunft mehrmals mit Preisen ausgezeichnet.

Mikrokosmos ganz groß

Den dritten der insgesamt vier hier vorgestellten Wandkalender kennen die Laborjournal-Leser bereits aus früheren Jahren. Für den Rezensenten sind sie jedes Mal wieder ein Höhepunkt: die Verborgenen Welten, in Szene gesetzt vom Reutlinger Wissenschaftsfotograf/Elektronenmikroskopiker-Duo Oliver Meckes und Nicole Ottawa. Die beiden errangen bereits die in Fotografenkreisen höchsten Ehren, unter anderem den World-Press-Photo-Award. Schon seit 1994 betreiben sie eine Foto­agentur der etwas anderen Art: Sie bannen den fürs menschliche Auge normalerweise unsichtbaren Mikrokosmos auf Fotopapier und Computerspeicher – die Körperteile von Insekten, technische und biologische Oberflächenstrukturen, Pflanzenorga­nel­len und Pollen, Bakterien aller Art und was sonst noch alles im Mikro­kosmos Interessantes umherkreucht und -fleucht.

Zum Staunen verleitet auch das auf der agentureigenen „Eye-of-Science“-Website aufgelistete Equipment: Mit einem „Amray 1610 Turbo-Raster-Elektronen-Mikroskop“ sind Meckes/Ottawa zugange, ausgestattet mit „Ionengetter- und Turbomolekular-Pumpe“ und „Sekundär­elektronen-Detektor“; ersatzweise wird das „FEI Quanta 200 Feld­emissions-Raster-Elektronenmikroskop“ mit einer maximalen Auflösung von 1,2 Nanometern hochgefahren. Ferner nutzen die beiden (als Gast bei Partnerlaboren) Computertomografie, haben ein Zeiss-Ultraphot-III Fotomikroskop für herkömmliche Lichtmikroskopie sowie gute alte Nikon F4-Kameras in Spezialgehäusen und Unterwasser-Blitzgeräten für unterwasserfotografische Aufgaben.

Ihr diesjähriger Kalender zeigt im Januar die Oberflächenstruktur von Holzkohle in 1200-facher Vergrößerung, mitsamt den in Riesengröße abgebildeten Tracheen und Siebröhren der ehemals lebenden Pflanze. Die rasterelektronenmikroskopische Aufnahme einer Schalenamöbe der Gattung Zonema, 14.000-fach vergrößert und mit messerscharfen „Zähnen“, erinnert den Freund anspruchsvoller Horrorfilme im Februar an die kleinen Monster aus Joe Dantes „Gremlins“. Im März sind Bacillus-anthracis-Erreger mitsamt ihren hitzestabilen, Jahrhunderte überdauernden Endosporen zu bewundern, 52.000-fach vergrößert. Und so geht es weiter – der mit Sinneshaaren und Zellen überzogene Unterkiefertaster eines Marienkäfers im Mai, eine grüne Blattlaus in dreidimensional-gruseliger Nähe im Juli (siehe Aufmacherfoto links oben), der Querschnitt durch menschliches Lungengewebe samt Flimmerhaaren und Epithelzellen im Oktober und stachelige Pollenkörner der Färberkamille (Anthemis tinctoria) im Dezember. Die zwölf Motive sind sachkundig erklärt, und die Reproduktionsqualität der Kalenderblätter ist exzellent.

Panoramen in Schwarz-Weiß

Auch der 1954 in Wangen im Allgäu geborene Helmut Hirler dürfte einigen Lesern ein Begriff sein. Der einstige Werbe- und Modefotograf hat sich längst zu einem erstklassigen Schwarz-Weiß-Landschaftsfotografen gemausert. Seit Jahrzehnten reist Hirler mit Motorrad und Flugzeug zu immer neuen Landschaften, Kulturen und Naturdenkmälern speziell in südlichen Gefilden, die er während seiner oft monatelangen Expeditionen mit seiner Technorama-Panoramakamera ablichtet. Kein einfaches Unterfangen – schafft dieser unhandliche Apparillo doch nur vier Aufnahmen im Format 6 x 17 Zentimeter pro Filmrolle. Gerne verwendet Hirler auch Infrarotfilm und ausgefallene Filterkombinationen, um der abgelichteten Landschaft noch mehr Dramatik zu verleihen; hinterher optimiert er seine Bilder in der Dunkelkammer weiter. Den Schlusspunkt setzt dann die Druckerei, die mit einer speziellen Technik im Duoton-Verfahren die optische Wirkung von Hirlers Schwarzweiß-Bildern nochmals verstärkt.

Für seinen alljährlich mit frischen Bildern neu aufgelegten Nature-Kalender erhielt Hirler bereits den Internationalen Kodak-Fotokalenderpreis und den Preis der Kalenderschau Stuttgart. Schwerpunkte seines Schaffens sind die Wüsten dieser Erde, spanische und schottische Burgen, bizarre Bäume sowie Neuseeland (wo der Allgäuer seit einigen Jahren auch lebt).

Den diesjährigen Nature 2014-Langkalender hat Hirler erneut mit einem dutzend atemberaubender Fotografien versehen: Rund um den Globus geht es in zwölf Stationen von der Türkei (abgebildet sind die bis zu 30 Meter hohen, spargelartigen Tuffsteinformationen im zentralanatolischen Kappadokien) ins Hochland von Chile (der auf 4140 Meter Höhe gelegene Salzsee Laguna Miscanti), zur Breitachklamm ins Allgäu, zum Skógafoss-Wasserfall im Süden Islands und schließlich in den fossilreichen, erdgeschichtlich einzigartigen Talampaya-Nationalpark im Nordwesten Argentiniens. Belebte Natur ist nur selten zu erblicken, oft sind es nur ein paar Steine, die da im Wüstensand herumliegen – und dennoch (oder gerade deswegen) könnte man vor Hirlers Bildern stundenlang meditieren.




Letzte Änderungen: 01.10.2013