Editorial

Buchbesprechung

Martin Neukamm




Reinhard Junker & Siegfried Scherer:
Evolution – ein kritisches Lehrbuch.

Gebundene Ausgabe: 368 Seiten
Verlag: Weyel; Auflage: 7. aktualis. Aufl. (2013)
Sprache: Deutsch
ISBN-10: 3921046106
ISBN-13: 978-3921046104
Preis: 26,90 EUR

Evolutionslehre von der Gegenseite gesehen - Argumentative Schwächen

Wenn es bei Amazon fast nur 1- oder 5-Stern-Bewertungen hagelt, sollte dies den potenziellen Käufer misstrauisch machen. Wie in diesem Fall.


Das Buch Evolution – ein kritisches Lehrbuch ist das einzige Werk zum Thema Evolution, das es auf dem hart umkämpften Büchermarkt bis in die 7. Auflage geschafft hat. Seit fast 30 Jahren behauptet es sich, inzwischen wurden mehr als 40.000 Exemplare verkauft. Dabei handelt es sich allerdings nicht um ein offiziell zuge­lassenes Schulbuch, sondern um ein Schriftstück von Evolutionsgegnern, Anhängern des Kreationismus also, das wie ein Lehrbuch aufgemacht ist. Vermutlich erklärt sich sein Erfolg damit, dass evangelikale Bekenntnisschulen auf ein aus ihrer Sicht „christenfreundliches“ Biologielehrbuch angewiesen sind.

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Hauptanliegen: Zweifel zu säen

Hauptanliegen des Buchs ist es zu zeigen, dass die Evolutionstheorie nicht zwingend bewiesen sei, dass das biologische Datenmaterial auch aus der Perspektive der (biblischen) Schöpfungslehre gedeutet werden könne. Um Zweifel an der Evolution zu säen, werden (vermeintliche) Schwachstellen und offene Fragen der Evolutionstheorie thematisiert. Evolutionskritik ist also das Mittel, um schöpfungstheoretischen Spekulationen einen wissenschaftlichen Anstrich zu verpassen. Zwar räumen die Autoren ein, dass Schöpfungslehren „eine Grenzüberschreitung über den Rahmen der Naturwissenschaften hinaus“ vornähmen, so dass an Schöpfung letztlich nur geglaubt werden könne. Doch erfordere „eine umfassende Evolutionsanschauung“ ebenfalls „philosophische Vorgaben“, die sich mit naturwissenschaftlichen Methoden nicht belegen ließen (Seite 306). Die Bemühungen des „intelligenten Designs“, empirische Hinweise auf eine intelligente Gestaltung der Lebewesen zu finden, sollen den Diskurs schließlich zugunsten des Schöpfungsparadigmas entscheiden. Die Autoren erwecken den Eindruck, der Anschein von Planung sei angesichts der „nicht reduzierbaren Komplexität“ biologischer Systeme wissenschaftlich begründet, intelligentes Design gar der „Schluss auf die beste Erklärung“ (Seite 336).

Rückzugsgefechte erkennbar

Im Vergleich mit vorangegangenen Auflagen machen sich allerdings deutliche Rückzugsgefechte bemerkbar. Beispielsweise wird in der 6. Auflage die Evolution der eukaryotischen Zelle, wie sie die Endosymbiontentheorie beschreibt, noch als eine sehr unwahrscheinliche, „konzertierte Aktion“ bezeichnet; das System erscheine „irreduzibel komplex“ und wirke „als Design-Signal“ (Seite 185 der 6. Auflage).

In der aktuellen siebten Auflage muss dagegen eingeräumt werden, dass die Datenlage „eine schrittweise Entwicklung zu Endosymbionten zunehmend plausibel“ mache (Seite 199). Von „Design-Signalen“ und „nicht reduzierbarer Komplexität“ ist hier nicht mehr die Rede.


Auch das Kapitel über die Entstehung bakterieller Flagellen haben die Autoren grundlegend revidiert. Während in der 6. Auflage die Flagellenevolution noch transastronomisch unwahrscheinlich gerechnet wird, finden sich in der aktuellen Auflage keine derartigen Berechnungen mehr. Statt der ehemals postulierten 160 sollen jeweils nur noch etwa 10 Mutationen zwischen zwei positiv selektierbaren „Basisfunktionszuständen“ liegen. Offenbar stirbt das Argument der nicht reduzierbaren Komplexität einen Tod auf Raten (vergleiche dazu auch Laborjournal Online vom 8. Januar 2014: www.laborjournal.de/editorials/805.php).

Kritik der Autoren muss scheitern

Diese Beispiele „nicht reduzierbarer Komplexität“ zeigen eindrucksvoll, warum die Evolutionskritik der Autoren zum Scheitern verurteilt ist: Die offenen Fragen und Erklärungsprobleme der Evolutions­theorie machen Schöpfung um keinen Deut plausibler, denn es handelt sich um Fragen, die durch weitere Forschung beantwortet werden können. Es hat keinen Sinn, Wissenslücken als Grundlage für Unwahrscheinlichkeitsszenarien zu nutzen, um den Eindruck zu erwecken, „Makroevolution“ sei problematisch und Schöpfung eine plausible Alternative.

Beides ist nicht der Fall. An den Grenzen unseres Wissens beginnt das Nichtwissen, nicht die evolutive Unwahrscheinlichkeit und auch nicht das intelligente Design. „Schöpfung“ ist ein semantisch undurchsichtiges Schlagwort, das nichts erklärt und bestenfalls so lange als Scheinalternative besteht, bis die Forschung das Problem durchdacht hat.




Letzte Änderungen: 14.03.2014