Editorial

Buchbesprechung

Darja Henseler





Mary Roach:
Schluck. Auf Entdeckungsreise durch unseren Verdauungstrakt.

Broschiert: 384 Seiten
Verlag: Deutsche Verlags-Anstalt (14. April 2014)
Sprache: Deutsch
ISBN-10: 3421046409
ISBN-13: 978-3421046406
Preis: 15 EUR (Paperback), 12 EUR (E-Book)

Speichelforscher und Stuhltransplantation

Eine amerikanische Wissenschaftskolumnistin hat ein launiges Buch über unser Verdauungssystem geschrieben.

Schluck. – Ein ungewöhnlicher Titel. Doch nach dem Lesen stellt er sich als treffend heraus. Schnell merkt man, dass es der Auto­rin Mary Roach primär um die Befriedigung der eigenen Neugier geht. Zum Glück jedoch hat sie auf ihre Entdeckungsreise durch unseren Verdauungstrakt (so der Untertitel) ihre Leser mitgenommen. Von Inuit und ihren Essgewohnheiten ging es zu Speichelforschern und zu Alexander Khoruts, einem Gastroenterologen, den wir weiter unten noch ein bisschen genauer kennenlernen werden. Natürlich gab es auf ihrer Reise auch jede Menge Zwischenstopps, wie zum Beispiel im Food Valley. Dort sind 15.000 Wissenschaftler mit der Optimierung unserer Nahrung beschäftigt. Und in einem kalifornischen Gefängnis, in dem Roach ein Interview mit einem Insassen über das Phänomen des „Rektalschmuggelns“ führte. Für jene, die jetzt eher raten als wissen, was Rektalschmuggler sind: Es gibt Leute, die Drogen oder andere verbotene Waren in ihrem Rektum (Mastdarm) über die Grenze verbringen. Dies ist im kriminellen Gewerbe mittlerweile sogar eine gebräuchliche Transportart, und es gab dabei schon kuriose Funde. So mussten einmal eine Brille, eine Zeitschrift und ein Tabakbeutel vom Notarzt entfernt werden. Offenbar hatte der unglückselige Spediteur für seine anstehende Einzelhaft gepackt.

Man erfährt in Schluck. aber noch einiges mehr über tabuisierte Dinge, die nur indirekt mit dem Verdauungstrakt in seiner eigentlichen Funktion zu tun haben. Roach berichtet zum Beispiel über moralisch fragwürdige Studien, sodass nicht nur die erbarmungswürdigen Probanden im Buch, sondern auch die Leser „schlucken“ müssen. Eine dieser Studien erfolgte in Italien um das Jahr 1830. Es war mehr einem Zufall geschuldet, dass ein gewisser Alexis St. Martin von einer Gewehrkugel getroffen wurde. Ein in der Nähe stationierter Militärarzt namens William Beaumont eilte ihm zur Hilfe. Es wird vermutet, dass Beaumont die Wunde des Verletzten, die eine Öffnung zum Magen bildete, absichtlich offen und in diesem Zustand verheilen ließ.

Geschmacksprobe mit Magensaft

St. Martin verbrachte viele Jahre in Beaumonts Obhut, und dieser schaute nicht nur durch das Loch dessen Magen bei seiner Arbeit zu, sondern füllte auch immer wieder etwas Magensaft ab, um Experimente zur Verdauung durchzuführen. Es sollte nicht unerwähnt bleiben, dass er auch die extern verdaute Nahrung probierte und die Ergebnisse in seinem Tagebuch festhielt.

Auch vor anderen Themen, bei denen sich manch einem der Magen umdreht, schreckt die Autorin nicht zurück. Roach befragte beispielsweise Experten der oralen Nahrungsverarbeitung. Etwa in Bezug auf die Bolusbildung – das Produkt bei der Durchmischung von zerkauter Nahrung und Speichel – und dessen Viskosität und Konsistenz. Genau genommen ist es schizo­phren: Wir alle lieben leckeres, auch optisch schön angerichtetes Essen und haben auch ständig Speichel im Mund – und es ist auch okay für uns, wenn sich das Essen mit dem Speichel mischt und wir es hinunter­schlucken. Doch sobald wir die gekaute Nahrung ausspucken, ekeln wir uns davor. Genauso, wie sich die meisten vor durch externen Magensaft vorverdauten Speisen ekeln würden. Rein psychologisch gehört es sich offenbar, dass Nahrung von uns verschluckt wird – die weitere Verantwortung mögen jedoch bitte unsere inneren Organe übernehmen.

Doch nicht nur das. Den Schluckvorgang selber scheinen wir zu unserem Wohlbefinden dringend zu benötigen. Es ist zum Beispiel bekannt, dass Patienten mit Schluckstörungen, die über eine Magensonde ernährt werden müssen, oftmals darum bitten, Ihnen den Kehlkopf operativ zu entfernen. Dieser hindert diese Patienten am Schlucken. Die meisten Menschen möchten also lieber stumm sei, als nicht schlucken zu können.

Ins Gleichgewicht durch Spenderkot

Des Weiteren geht es in Roachs Buch um Nahrungswahrnehmung und Nahrungsaufnahme, um Verdauung in Magen und Darmtrakt über die „Zwischenlagerung“ im Mastdarm und natürlich auch um die Ausscheidung. Und an dieser Stelle kommen wir zum eingangs erwähnten Alexander Khoruts. Der Enterologe war eine der letzten Stationen auf Roachs Entdeckungsreise. Ärzten wie ihm wird es zu verdanken sein, wenn es demnächst auf Rezept eine kostengünstige und nebenwirkungsarme Behandlungsmethode für Durchfallpatienten gibt, bei denen ein bakterielles Ungleichgewicht diagnostiziert ist (etwa durch einen Befall mit dem Krankenhauskeim Clostridium difficile). Khoruts beschäftigt sich mit der Stuhltransplantation; er versucht also, durch Spenderkot wieder ein mikrobielles Gleichgewicht im Darm herzustellen. Als Spender ist jeder zugelassen, der nicht an Verdauungsbeschwerden und übertragbaren Krankheiten leidet. Der gespendete Stuhl wird unter möglichst anaeroben Bedingungen gemixt, dadurch verflüssigt, und bis zur Verwendung kühl gehalten. Dann wird mittels eines Koloskops ein Teil des Materials in den Patienten gepumpt. Khoruts Erfolgsquote liegt laut eigener Aussage bei 93 Prozent.

Wer leichte Wissenschaftskost bevorzugt und wem es nichts ausmacht, zwischendurch auch Interessantes über Fäkal­themen zu erfahren, für den ist der Schmöker genau das Richtige.




Letzte Änderungen: 02.09.2014