Editorial

Buchbesprechung

Iris Sauer




William Harvey:
Die Bewegung des Herzens und des Blutes
(erstmals erschienen 1628 als
Exercitatio anatomica de motu cordis et sanguinis in animalibus).

Übersetzt im Jahre 1910 von Robert Ritter von Töply.
Belser-Verlag Stuttgart, 1970.
Einmalige Auflage von 400 nummerierten Exemplaren (154 Seiten).
Gebrauchte Exemplare dieser Schmuckausgabe
bei Booklooker.de zwischen 140 und 300 Euro.
Alternativ als „Book on Demand“ für 23 Euro (gebunden)
bzw. 9 Euro (Taschenbuch),
oder gratis online unter:
http://legacy.fordham.edu/halsall/mod/1628harvey-blood.asp.

Blut versickert nicht

Vor knapp 400 Jahren: William Harvey entdeckt den großen Blutkreislauf.

Der Römer Galenus, Leibarzt von Marc Aurel, sitzt am Tisch und dreht grübelnd den Becher in seiner Hand. Er macht sich Gedanken über das Blut. Tatsächlich sollten seine Ausführungen hierüber im Abendland fast 1500 Jahre lang unangefochten gelten – bis zu dem Tag, als ein Engländer, ebenfalls Hofarzt des Monarchen (diesmal von König James I., dem Sohn Maria Stuarts), sein Buch über die Bewegung des Herzens veröffentlicht.


Bild: Hist. of Med. Library, Univ. of Kansas Med. Center

Dessen Name: William Harvey.

Wir befinden uns im Jahr 1628, als der fünfzigjährige Harvey (1578-1657) seine bereits vor Jahren fertiggestellte Abhandlung drucken lässt – wohl aufgrund der Brisanz im Ausland, genauer in Deutschland. Im Original heißt das 68 Seiten umfassende Werk Exercitatio anatomica de motu cordis et sanguinis in animalibus; heute ist Harveys Buch in einer Kurzform als De Motu Cordis in einer deutschen Übersetzung von 1910 erhältlich. Diese, angefertigt vom böhmischen Medizinhistoriker Robert Ritter von Töply, ist die Grundlage dieser Rezension.

Aber zum Teufel...!

Nach zwei Widmungen und einer Vorrede nimmt der Leser in insgesamt 17 Kapiteln teil an Harveys Gedankengängen und dessen Beobachtungen, die von Sektionen, auch Vivisektionen an Schweinen und Hunden, herrühren. Zumeist ruhig und bedacht entwickelt der Arzt und Wissenschaftler seine Fragen, beschreibt seine genauen Beobachtungen und Schlussfolgerungen, bis hin zur bahnbrechenden Aussage: Das Blut kreist im Körper. Diese heute triviale Feststellung trifft er zu einer Zeit, als Gelehrte die Funktion von Lunge und Gehirn noch nicht kennen. Gleichwohl jagen im Buch die Gedanken einander, es scheint Harvey zur Niederschrift zu drängen, er wiederholt seine Aussagen; er lebt sich aus. So beschreibt es der Herausgeber des Buches von 1910. Manchmal erreichten Harveys Flüche die Schreibfeder: „Aber zum Teufel...!“.

Seiner Abhandlung fehlt die reiche Bebilderung heutiger Werke. Dafür beeindrucken eine Handvoll Abbildungen (im Original auf Japanpapier). Der Text ist in leicht verständlicher Sprache abgefasst und überfordert nicht durch unzählige Fachbegriffe oder kompliziert verschachtelte Sätze.

Rechnen hilft ungemein

In den medizinischen Kreisen Europas gilt seit Galenus (ca. 130 bis 200) die Vorstellung, dass die Leber aus der zugeführten Nahrung ständig neues Blut produziere. Dieses Blut werde auf seinem Weg durch den Körper vollständig verbraucht und versickere in der Peripherie.

Harvey erkennt durch exakte, mühevolle Beobachtungen unter anderem, dass die Kontraktion der Herzkammern mit einem Blutausstoß einhergeht, und zwar allein in die Arterien und nicht in die Venen. Er gelangt zu der entscheidenden Frage: Wie viel Blut wird bei jeder Kontraktion der linken Herzkammer in die Aorta befördert?

Er errechnet das Volumen per Multiplikation von Schlagvolumen, das er experimentell ermittelt beziehungsweise abschätzt (1 Drachme bis 1 Unze), Zahl der Herzschläge pro Minute und Zeitspanne. Er erhält Werte von, auf heutiges Maß umgerechnet, circa 5 bis 40 Liter pro halbe Stunde. Das heißt, die Leber müsste nach Galenus‘ Lehre mindestens 240 Liter Blut pro Tag erzeugen und diese sollten im Körper verbraucht werden.

Der Wissenschaftler fasst zusammen:

Nun möge es denn schließlich gestattet sein, unsere Ansicht über den Blutkreislauf vorzutragen. (…) in so großer Menge in so mächtiger Strömung und Rückströmung (…), dass es von der aufgenommenen Nahrung nichtnachgeliefert werden kann und zwar in größerer Fülle (als für die Ernährung genügt), so muss man notwendigerweise schließen: Das Blut bewegt sich bei den Lebewesen in einem Kreise...

– und widerspricht so, nicht ohne Angst, der seit Jahrhunderten anerkannten Lehre von Galenus.

Korrekte Vorhersage

Das fehlende Glied im Kreislauf, die kapillaren Verbindungen zwischen Arterien und Venen, sagt der Engländer voraus. Erst mit Hilfe des Mikroskops werden diese Gefäße Jahrzehnte später nachgewiesen. De Motu Cordis versetzt in die beginnende experimentelle Forschung des 17. Jahrhunderts und lässt die Erkenntniswege William Harveys bis zu der seinerzeit brisanten Aussage „das Blut fließt im Körper im Kreis“ nachvollziehen. Ein lesenswertes Büchlein für jeden Biologen und Mediziner!

Übrigens: Harveys Entdeckung spaltete die damalige medizinische Welt. Gegenüber Kritikern verteidigte er sich nach einer Vorlesung mit der Aussage, dass der Mensch zu Zeiten Galenus‘ eben anders gebaut gewesen sei. Ob Harvey dies selbst wirklich glaubte oder sich lediglich präventiv vor einer Anklage wegen Ketzertums schützen wollte, ist nicht bekannt.




Letzte Änderungen: 28.04.2016