Editorial

Buchbesprechung

Larissa Tetsch




John Steinbeck:
Wonniger Donnerstag (Sweet Thursday, 1954)

Taschenbuch: 240 Seiten
Verlag: dtv Verlagsgesellschaft (1. August 1987)
Sprache: Deutsch
ISBN-10: 3423107766
ISBN-13: 978-3423107761
Preis: 9,50 Euro (Taschenbuch)

Sinnsuche zwischen den Gezeiten

In mehreren Romanen setzte der amerikanische Nobelpreisträger John Steinbeck (1902-1968) dem Meeresbiologen Ed Ricketts (1897-1948) ein Denkmal. In Wonniger Donnerstag mit unzähligen Bezügen zur Fauna der amerikanischen Pazifikküste.

Ohne die Empfehlung eines Zoologieprofessors hätte ich John Steinbecks Wonniger Donnerstag, die Fortsetzung der bekannteren Straße der Ölsardinen, wahrscheinlich nie gelesen. Beide Romane spielen im kalifornischen Monterey in der Straße der Fischkonservenfabriken (Cannery Row), die damals allerlei seltsames Publikum anzog und heute zum Touristenviertel der Stadt gehört. Neben einem Bordell, einem Gemischtwarenladen und einem von liebenswerten Herumtreibern bewohnten Schuppen ist ein Hauptschauplatz das Labor des Meeresbiologen Doc, der seinen Lebensunterhalt mit dem Verkauf von lebenden und präparierten Tieren verdient. Zudem ist er Arzt und Ratgeber für die weitgehend vom gesellschaftlichen Leben Montereys ausgeschlossene Gemeinschaft der Cannery Row.

Editorial

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John Steinbeck, einer der erfolgreichsten US-Autoren des 20. Jahrhunderts, war zugleich auch begeisterter Hobby-Biologe.

Warenlager Ebbetümpel

Gleich zu Beginn der Straße der Ölsardinen wird Docs Labor, dessen historisches Gegenstück noch heute zu besichtigen ist, unter Aufzählung von Meerestieren, Labor­geräten, Chemikalien und Präparations­methoden in Steinbecks detailreicher, poetischer Sprache zum Leben erweckt. Daneben finden sich Beschreibungen des Lebensraums „Küste“ und der Arbeitsweise des Meeresbiologen: Die Tiere werden in großen, bei Ebbe entstehenden Tümpeln gesammelt, wobei sie „entlang der Küstenlinie abgelegt sind wie in einem Warenhaus“. Seesterne brechen Schnecken und Muscheln vom Gestein, Seeanemonen machen Jagd auf kleine Krebse, die sie extrakorporal verdauen, ein Octopus hüllt seine Beute in eine schwarze Sepiawolke. An all dem lässt uns Steinbeck, der während seines Literaturstudiums an der Stanford University unter anderem meeresbiologische Kurse belegte und selbst als erfolgreicher Schriftsteller noch die Teilnahme an einer Sammelexpedition an die Küste von British Columbia plante, mit großem Sachverstand für biologische Zusammenhänge und Artenkenntnis teilhaben.

Von Mädchen und Tintenfischen

Vor allem in Wonniger Donnerstag ist Doc (alias Ricketts) die Hauptperson als Philosoph, Heiliger und Sünder, als Menschenfreund, Lebemann und leidenschaftlicher Wissenschaftler. Im Mittelpunkt steht die Sinnkrise dieses alleinstehenden, eben aus dem Zweiten Weltkrieg zurückgekehrten Mannes, der neuen Lebensmut im Schreiben einer wissenschaftlichen Abhandlung über das Gefühlsleben von Tintenfischen und in der Beziehung zur Prostituierten Suzy sucht. Amüsant und mit leicht ironischem Unterton schildert Steinbeck, wie Doc ein perfektes Aquarium für die Tintenfische einrichtet und sich dabei fragt, ob in Gefangenschaft überhaupt normales Verhalten beobachtet werden kann – noch immer in der Verhaltensforschung diskutiert – und dies letztlich verneint. Docs These, dass Tintenfische an durch starke Emotionen ausgelösten Schlaganfällen sterben können, ist nicht durch Sezieren, sondern nur durch Beobachtung verifizierbar. Dies ist Neuland für Doc und verunsichert ihn. Er reizt seine Versuchstiere mit einer Nadel bis zur „Weißglut“ und gibt Menthol, Bittersalz, Kochsalzlösung und Kokainsulfat ins Wasser, um die Tiere abwechselnd krank, wieder gesund und müde zu machen. Wie erwartet sterben diese, doch der Nachweis der Todesursache gelingt ebenso wenig wie das Niederschreiben der Beobachtungen. Dass vor der nächsten Springflut keine neuen Versuchstiere erhältlich sind, quält Doc, dient ihm aber gleichzeitig als Ausrede, die Arbeit über „Apoplexieähnliche Symptome bei gewissen Cephalopoden“ auf Eis zu legen.

Immer wieder werden in die Romanhandlung Docs wissenschaftliche Theorien eingestreut wie jene über die Färbung der Tintenfischhaut durch eine „Verschiebung des Gewebes“, deren Richtigkeit heute belegt ist. Bis zum Ende sieht es so aus, als würde Doc seine Abhandlung über das Gefühlsleben der Tintenfische nicht zu Papier bringen, doch in einem hoffnungsverheißenden Ende begleitet Suzy ihn zum Sammeln der Tintenfische, und seine Nachbarn organisieren ein Mikroskop, das sich jedoch als Teleskop entpuppt.

Wieviel Ricketts steckt in Doc?

Steinbeck zeichne ein wahres, aber eindimensionales Bild des Forschers Ricketts, so dessen Freund und Weggefährte Joel Hedgpeth. Ricketts war wissenschaftlich überaus rege und veröffentlichte 1939 sein Hauptwerk Between Pacific Tides, das auch heute noch als Standardlehrbuch und Referenz für die Klimawandelfolgenabschätzung an den Universitäten der amerikanischen Westküste dient. Ricketts Bekanntheitsgrad zeigt sich auch daran, dass eine Asselspinne (Pycnogonum rickettsi) und eine Meeresschnecke (Catriona rickettsi) nach ihm benannt wurden – letzteres von einem Bewunderer, der in den Fußstapfen seines Idols selbst ein Lehrbuch über Nacktkiemer (Nudibranchia) verfasste.

Steinbeck schreibt mit wissenschaftlichem Sachverstand, großer Lebensklugheit und Liebe zur Natur, aber ohne romantische Verklärung. Fressen und Gefressenwerden – beides findet Platz in dieser mit Humor, Ironie und Wortwitz erzählten Geschichte. Sie ist ein Genuss und eine wahre Schatztruhe für literaturliebende Biologen und naturliebende Literaten.




Letzte Änderungen: 14.09.2016