Editorial

Buchbesprechung

Florian Fisch




Richard Dawkins:
The Selfish Gene: 40th Anniversary Edition (Oxford Landmark Science)

Taschenbuch: 496 Seiten
Verlag: Oxford University Press; Auflage: 40 Anniversary ed. (9. Juni 2016)
Sprache: Englisch
ISBN-10: 0198788606
ISBN-13: 978-0198788607
Preis: 11,17 Euro (Taschenbuch), 5,99 Euro (eBook)

Richard Dawkins:
Das egoistische Gen

Taschenbuch: 536 Seiten
Verlag: Springer Spektrum; Auflage: 2 (10. Juli 2014)
Sprache: Deutsch
ISBN-10: 3642553907
ISBN-13: 978-3642553905
Preis: 19,99 Euro (Softcover), 14,99 Euro (eBook)

Eine unsterbliche Idee

Richard Dawkins‘ Bestseller wird heuer 40 Jahre alt. Doch weder die neuesten Erkenntnisse noch seine unermüdlichen Kritiker können dessen Klarheit etwas anhaben.

Schon die Ähnlichkeit der Nachnamen ist frappant: Darwin – Dawkins. Doch Charles den Älteren (1809-1882) verbindet mit Richard dem Jüngeren (*1941) neben dem gemeinsamen Interesse für die Evolution weit mehr: Beide kratzten am Selbstbewusstsein der Menschen und schrieben für ein breites Publikum.

Dawkins begann 1972 als 31-Jähriger eher zufallsbedingt mit dem Bücherschreiben: Die Experimente des Verhaltensbiologen wurden damals durch von Streiks verursachte Stromausfälle unterbrochen. Der junge Dawkins konnte nicht wissen, dass er im Begriffe war, mit The Selfish Gene eines der bekanntesten Sachbücher aller Zeiten zu schreiben, das Millionen von Lesern in über 20 Sprachen erreichen und das biologische Denken nachhaltig prägen würde. Sein Ziel war lediglich, Klarheit in die Vorstellungen zur Evolution zu bringen.

Das Kreuz mit dem Altruismus

Erstauflage von 1976

Besonders Altruismus (also durch Rücksicht auf andere gekennzeichnete Verhaltensweisen) schien nur schwer mit der Idee einer knallharten natürlichen Selektion vereinbar zu sein. Daher geisterte damals (teils bis heute) die Idee der Gruppenselektion herum. Schulbücher, Fernsehsendungen, ja selbst der Nobelpreisträger und Verhaltensforscher Konrad Lorenz propagierten dieses wohl in der evolutionären Realität nicht funktionierende Verhalten „zum Wohle der Gruppe“. Dawkins zitiert dazu beispielhaft aus einem damaligen Werk für Lehrerbildung: „In higher animals, behaviour may take the form of individual suicide to ensure the survival of the species.“

Mit wundervollen Metaphern und messerscharfen Formulierungen gelang es Dawkins, die Mathematik der Evolution für viele verständlich zu machen. Mit der Perspektive der Gene brachte er ein trockenes Konzept unters Volk: „Individual selfishness and individual altruism are explained by the fundamental law that I am calling gene selfishness.“ Die Gene, er nennt sie „replicators“, seien die einzigen mit der Fähigkeit, sich selbst exakt zu kopieren. Die Individuen seien bloße „vehicles“ zur Verbreitung der Gene – „survival machines“ oder auch „giant lumbering robots“.

Die Wahrheit gefällt selten

Kein Wunder, dass sich viele angesichts solch rigoroser Formulierungen am Buch stießen. Besonders jene Kritiker, „die gerne alles wörtlich nehmen und von Büchern lieber nur den Titel lesen“, bemerkte Dawkins später spitz. Heute würde er einen positiver klingenden Titel nehmen, zum Beispiel „Immortal Coils“, wie sein Herausgeber schon 1976 vorschlug. Dass Gene per Definition egoistisch sein müssen, ist Dank Dawkins den meisten Biologen inzwischen klar.


Richard Dawkins. Foto: Dawkins Foundation

Der streitbare Brite hat seinerzeit indes keine neue Theorie entwickelt, sondern lediglich die Arbeiten seiner Vorgänger zu Ende gedacht und zu einem Gesamtbild verbreitert: die mathematischen Grundlagen der „kin selection“ von William Hamilton; die evolutionär stabilen Strategien mit Konfrontation suchenden „Falken“ und Konflikt vermeidenden „Tauben“ von John Maynard Smith; die Gene als Einheit der Selektion von George Williams; und den Altruismus als Resultat der Evolution von Robert Trivers.

Dawkins’ Werk ist mittlerweile so tief eingraviert in die moderne Synthese der Evolutionstheorie, den Neo-Darwinismus, dass der Versuch der Widerlegung der Gen-zentrischen Sicht schon fast zu einer eigenen biologischen Disziplin geworden ist (als Beispiele seien genannt etwa Evolution in Four Dimensions von Eva Jablonka &

Diskussion längst nicht beendet

Die Debatte über die Ebene der natürlichen Selektion ist nie wirklich abgerissen. Sicher, Dawkins wusste 1976 noch nichts von Epigenetik, RNA-Interferenz oder davon, dass im menschlichen Genom weniger als 25.000 Gene gefunden werden würden. Doch seine Idee ist im Buch so allgemein formuliert, dass auch solch neue Erkenntnisse problemlos integriert werden können.

Dawkins reagierte immer wieder auf die nicht endende Kritik an seinem Werk und führte in der zweiten Auflage zwei neue Kapitel ein, in denen er zeigte, dass der Phänotyp nicht beim Individuum aufhört, sondern ein ganzes Ökosystem beinhalten kann. Seine Reaktion auf Kritiker, wie in den Fussnoten zur 30-Jahre-Jubiläums-Ausgabe, sind unterhaltsam geschrieben – und auf den neuen Epilog zum 40-Jahre-Jubiläum darf man sich ebenfalls freuen.

Immer wieder wurde dem missionarischen Atheisten Kaltherzigkeit unterstellt. In Wirklichkeit ist Dawkins ein Poet, wie der letzte Satz der Erstausgabe beweist: We are built as gene machines and cultured as meme machines, but we have the power to turn against our creators. We, alone on Earth can rebel against the tyranny of the selfish replicators.




Letzte Änderungen: 10.11.2016