Editorial

20 Jahre Laborjournal

Leiden und Schweigen

Von Axel Brennicke, Ulm


(11.07.2014) Das Laborjournal kommt in die Jahre, und mit ihm die „Ansichten eines Profs“ über die Wirrungen an deutschen Universitäten. Leider meckert darin immer nur der gleiche Prof.

Vor ein paar Jahren habe ich einmal mit dem Herausgeber des Laborjournals darüber gesprochen, ob denn nicht auch einmal jemand anderer aus den Innereien der deutschen Universitäten lesen und darüber berichten könnte. Die Betroffenen und Besorgten an den anderen Unis könnten sicher noch ganz andere Geschichten erzählen. Die Redaktion beunruhigte mich, dass sie durchaus nachgefragt hätten. Dass sie bei einschlägigen Kollegen angeklopft hätten, die sich genauso wie ich über viele Merkwürdigkeiten gewundert und dieses Kopfschütteln auch zugegeben hatten. Aber irgendwie habe keiner richtig zubeißen und etwas unter eigenem Namen zu Papier bringen wollen.

Die angefragten Kollegen hatten anscheinend Sorge, dass die jeweiligen Verwaltungen und Regierungen ihrer Universitäten entsprechende Berichte über Einzelheiten der kaum uni-spezifischen, sondern überall verbreiteten absurden Verschwendung von Steuergeldern eventuell gar nicht gut fänden. Und am Ende den Autor solcher vermeintlicher „Nestbeschmutzungen“ bei der Unterstützung seiner Arbeit nicht gerade bevorzugen würden.

Ich muss zugeben, dass diese Sorge der Kollegen durchaus berechtigt ist. So wird selbstverständlich jeder meiner Anträge auf ein neues wichtiges Gerät von der Uni abschlägig beschieden. Zum Beispiel mit dem lakonischen Kommentar, dass ich dieses doch bei der DFG beantragen solle – und man vielleicht darüber reden könne, wenn die es nicht finanzieren würde. Wie ich hier schon mal angemerkt hatte, käme ich mir aber blöd vor, mit dem negativen Bescheid der DFG zur Uni zu gehen. Und selbstverständlich hat die DFG nicht die Euro zur Verfügung, ein Gerät der allgemeinen Grundausstattung zu finanzieren, das auch andere Arbeitsgruppen benutzen könnten und würden. Und vor allem auch nicht das Mandat. Die DFG braucht das Geld für wichtigere Dinge.

Dass das marode Gewächshaus der molekularen Botanik nach einer nahezu 15 Jahre langen Folge von Überlegungen, Vorschlägen, Anträgen und eingeholten Angeboten trotzdem so bleibt, wie es ist, bis der Prof die Pipette abgegeben hat, ist selbstverständlich. Obwohl die Pflanzen, die dort angezogen werden müssten, nicht nur für die Forschung wachsen, sondern auch für die Lehre ergrünen sollen.

Die vorsichtigen Profs haben natürlich Recht: Die Universität fördert die mehr und mehr zum überflüssigen Luxus verkommende Forschung selektiv nach Angepasstheit der jeweiligen Profs. Aber auch für die Lehre werden die notwendigen Gelder lieber an die schweigend Hinnehmenden als dem angeblichen Nestbeschmutzer gegeben. So haben wir im gerade anlaufenden Erstsemester die Spitze der völlig unvorhersehbar gewachsenen Zahl von Studenten zu versorgen, die vor acht Jahren mit dem achtjährigen Gymnasium anfingen und nun gleichzeitig mit denen fertig werden, die vor neun Jahren in die Karriere zur Hochschule einstiegen. Und natürlich konnte auch keiner ahnen, dass das Trommeln für eine bessere Bildung so erfolgreich sein würde, dass die Studentenzahlen von Tag zu Tag steigen.

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So lungern jetzt plötzlich 100 bis 120, statt bisher 60 bis 80, Studenten vor den Labortischen herum und nehmen sich gegenseitig die Pipetten für die PCR weg. Oder schauen nicht mal hin, sondern sondieren eine an- oder abgesagte Abendunterhaltung. Von der idealen Gruppe „Zwei Studenten auf einen Hiwi“ bei der Extraktion von Blütenfarbstoffen haben wir uns im Laufe der Jahre angesichts der stetigen Mittelkürzungen für die auf diese Weise immer schlechter werdende Lehre längst verabschiedet. Hatten wir zuletzt vier bis fünf Studenten die elektrischen Messungen der Reizleitung in der Mimose gemeinsam anschauen lassen, so müssen sich jetzt sieben oder acht wissbegierige junge Menschen gegenseitig über die Schultern gucken.

Das gleiche Problem stellt sich selbstverständlich auch in den Praktika zum Kennenlernen der Innereien von Schnecken, der räumlichen Orientierung von Ameisen und der Vererbung von Genen für den Alkoholgehalt in der Bierhefe. Natürlich ist die Universitätsleitung sehr aufgeschlossen für diese Problematik, zumal sie sich mit der steigenden Masse der Studenten brüstet wie ein Bürgermeister mit der wachsenden Einwohnerzahl. Einsichtig unterstützt die Uni daher die Lehre mit zusätzlichen Geldern für mehr Hiwis – aber explizit nur einmal. Nur in diesem Semester, weil dieses Semester eine unvorhersehbare und deshalb unvorhergesehene Ausnahme ist. Wobei die „Überzähligen“ inzwischen bereits im zweiten oder vierten Semester sind – das Zählen der eingeschriebenen Studierenden benötigt offenbar gerade im Zeitalter der Mega- und Metaanalysen mehrere Jahre. Oder zumindest die Wahrnehmung der Betroffenen.

Warum sollte auch vorausgeplant werden? Vielleicht beschwert sich ja kein Prof, und man kann von dem eingesparten zusätzlichen Geld jemanden in der Verwaltung einstellen. Schließlich kann man Formulare gar nicht kompliziert genug gestalten. Und das Bundesland, das egozentrisch behauptet, die Unis allein zu finanzieren, gibt gar nichts. Die Länder setzen unsere ihnen anvertrauten Steuergelder lieber für Regionalflughäfen, Opern oder Bahnhöfe in den Sand.

Die Uni gibt die Gelder für Hiwis auch nicht einfach so, aufgrund der in der Verwaltung nachweislich dokumentierten steigenden Studentenzahlen – sondern nur auf ausführliche Schreiben und Anträge der Profs sowie nach engagierten Verhandlungen des sowieso überlasteten Studiendekans. Immerhin liefert die Uni-Regierung jetzt doch zusätzliches Geld für die Betreuung der Studenten in diversen Praktika. Sogar für das eines Profs mit einer laut geäußerten Ansicht.

Womit wir wieder beim Eingangsthema wären. Kritisch ist dabei nur, dass die Haltung der Univerwaltenden, Ansichten dürften schlechthin nur hinter vorgehaltener Hand oder besser gar nicht verbreitet werden, letztlich auf dem Rücken der Studenten aufrecht erhalten und ausgetragen wird. Daher sehe ich sehr wohl ein, dass die Kollegen sehr vernünftig handeln, wenn sie die Verantwortung gegenüber ihren Studenten vor jegliche Äußerungen über Fehlkanalisierung und Verschwendung von Geld durch blähende Uni-Verwaltungen stellen. Hoffnung auf Besserung oder mehr Vernunft gibt es sowieso keine. Egal, ob man sich mit lauter Meinung unbeliebt macht oder nicht. Und es macht auch keinen Unterschied, ob nur etwas falsch verstanden wurde oder ob ein unverständliches Kopfschütteln tatsächlich vernünftig ist.

Darf ich Ihnen zu letzterem ein Beispiel in Erinnerung rufen: Vor vielen Jahren (LJ 5/2005) hatte ich angemerkt, wie unsinnig die Geldverschwendung für obskure und zeitverschwendende Zertifizierungen aller Studiengänge an allen Unis ist. Die Kollegin aus Marburg kommt nach Tübingen und zertifiziert, die Kollegin aus Leipzig zertifiziert in Oldenburg, die aus Bochum zertifiziert Dresden. Die Kollegin aus Dresden zertifiziert in Marburg und schließt den Kreislauf. Ohne Entgelt. Während ihrer sowieso knappen Arbeitszeit. Und Freizeit. Tagelang. Aufsicht führen gescheiterte Geographen in extra gegründeten Zertifizierungs-Gesellschaften, die keine Steuern zahlen und keinen Profit machen – außer ihren jeweiligen Gehältern. Die nicht dem mageren Tarifvertrag für den Öffentlichen Dienst (TVöD; oder besser: TVöde?) unterliegen.

Damals hat natürlich niemand auf das Gemaule eines Profs gehört, alle hatten Angst, ohne solch obskure Zertifizierung kein Geld mehr vom Land zu bekommen. Oder dass ein angehender Student seine neue (Hoch-) Schulstufe nach der Zertifizierungs-Note aussucht statt nach der Entfernung von Mamas Kochtopf, Waschmaschine und sonstigem Service. Jeder weiß, welch ein Brei solch artige Zertifizierung sei. Ach, was tummeln sich nicht für Zertifikate in unserer Welt: Eine Uni kann sich familienfreundlich, gender conscious, höchstgelegen oder abgelegen bescheinigen lassen. Wozu? Was soll das? Der Zertifizierungsboom erinnert an die amerikanischen Rechtsanwalts- oder Arztbüros, in denen mindestens eine Wand mit solch bunten Zetteln der Selbstbeweihräucherung verglast ist.

Zurück zur Zertifizierung der Studiengänge: Die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) mahnte nur fünf Jahre später als das Laborjournal, am 23.11.2010, eine Überarbeitung des Akkreditierungssystems an: „Die externe Qualitätssicherung in Form der Programmakkreditierung hat sich in Deutschland zu einem bürokratielastigen und formalistischen Verfahren entwickelt, das zu wenig zur Verbesserung der Qualität von Lehre und Studium beiträgt.“ Das Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) brauchte anderthalb Jahre um dies zu verdauen, aber schloss sich immerhin am 3.5.2012 dieser Meinung an: „Die Programmakkreditierung, bei der jeder Studiengang von einer externen Expertengruppe bei Erfüllung von Mindeststandards zertifiziert und auf dieser Basis auch staatlich genehmigt wurde, sorgte für hohe Kosten und extremen Aufwand für die Hochschulen. Die später eingeführte Systemakkreditierung als eine Zertifizierung des hochschul­internen Qualitätssicherungssystems für Lehre und Studium kommt zwar dem Autonomiegedanken näher, doch führt auch dieses wie auch schon die Programmakkreditierung – zu einer übermäßigen Bürokratisierung der Hochschulen.“

Der Wissenschaftsrat hingegen hinterfragt immer noch sich selbst, schließlich ist dies eine seiner wenigen klar definierten Aufgaben – die Oberaufsicht über die Zertifizierer. Hoffen wir mal auf Vernunft. Und Konsequenzen.

Natürlich darf ich mir (leider) nicht einbilden, dass zwischen meiner Jahre alten Meinungsäußerung und diesem Durchdringen der Vernunft irgendein Zusammenhang besteht. Nein, ich bilde mir nicht ein, dass durch die unvernünftige Veröffentlichung meiner Meinung samt einigen Änderungsanregungen mehr Vernunft in die Unis und ihre organisatorischen Verwaltungen einzieht – letztlich gar zum Wohle von Forschung und Lehre. Aber ich gebe die Hoffnung nicht auf. Vielleicht geht doch der eine oder die andere doch mal über den Punkt „Ja, das ist bei uns genauso“ hinaus, denkt weiter in Richtung „Das muss doch einfacher und besser gehen“ – und entwickelt ein wenig schlechtes Gewissen angesichts der Art und Weise, wie das Geld der Steuerzahler an unseren Unis oftmals für sinnlosen Unfug verschleudert wird. Ein solches Unwohlsein führt dann womöglich zu einer leisen Empörung – und im besten Fall gar zu einer lauten Abwehrhaltung.

Warum aber führt jetzt jeder empörte Ausruf eines Profs et al. unweigerlich zur Diskriminierung des offen Aussprechenden? Das Problem ist, dass die Uni-Leitung sofort unterstellt, der an- und aussprechende Mahner mache die eigene (natürlich immer exzellente Super-) Uni schlecht – und nur die eigene.

Ein ehemaliger Medizindekan äußerte einmal im Uni-Präsidium, dass die offen ausgesprochene Meinung eines Profs dann ein Alleinstellungsmerkmal sei, wenn sich sonst niemand traut. Und dass die Uni dies sogar toleriere. Mit einem Lächeln. Einsicht oder gar Besserung könne hingegen niemand erwarten. Ganz meine Meinung.

Um das hier ganz klar zu stellen: Die abnehmenden Kennzahlen von Forschung und Lehre bei gleichzeitiger Zunahme der sie Verwaltenden sind kein Alleinstellungsmerkmal (m)einer Uni. Ich aber kann mich nur über die mir unterkommenden Fakten wundern. Die stammen nun mal von meiner Uni, sind aber überall die gleichen oder ganz ähnlich. Oftmals sogar noch schlimmer.

Vielleicht regt sich ja doch ab und an das schlechte Gewissen bei den Organisatoren der Unispiele, dass der Laden nicht besser organisiert ist, dass immer mehr Verwalter für immer neue Unsinnigkeiten eingestellt werden. Vielleicht greifen irgendwann die Versteckspiele hinter dem „Es geht nicht anders“ nicht mehr und etwas mehr Nachdenken und Vernunft ziehen ein. Anstelle der Pseudopolitik der faulen Kompromisse, der falschen Obrigkeitshörigkeit und der feudalen Andienung.

Vielleicht erwacht ab und an die Frage „Wozu eigentlich?“ und weckt die Besinnung auf den Sinn der Uni – Forschung und Lehre. Die zwar beide in jedem Gesetz der Länder zu den Unis ganz vorne stehen, über dem Verwaltungsalltag jedoch immer mehr in Vergessenheit geraten.

Vergessen wir aber auch nicht die vielen Vorschriften, an die sich die Unis halten müssen und die deren Arbeiten bis zur Unmöglichkeit verstellen. An diesen sind die Uni-Regierungen unschuldig. Dennoch müssen sie ihnen einen viel zu großen Teil ihrer Ressourcen wegwidmen. Und das Ganze eskaliert weiter...

Die schleichend zunehmende Verschwendung von Steuergeldern, die Umkanalisierung von Mitteln für Forschung und Lehre zu bürokratischer Aufblähung darf nicht unter den Tisch gekehrt bleiben – auch Sysiphos und K. gaben nicht auf. Unser Laborjournal ist ein einzigartiger, wichtiger und richtiger Ort für die Aufdeckung von Unverhältnismäßigkeit und Schummelei. Die unzähligen Selbstbeweihräucherungsorgane der Unis und der Überorganisationen wie MPG und DFG sind dagegen echte Geldvernichtung, die kein Rechnungshof unbemerkt durchgehen lassen sollte. Welche Branche hat schon eine tatsächlich freie und unabhängige Postille? Die Ingenieure nicht und die Mediziner erst recht nicht, letztere haben ja auch vielmehr ihr Image als Weißkittel immer wieder neu aufzubauschen.

Bitte, liebe Kollegen, sprecht aus, was stört! Auch in der Verwaltung gibt es gute Leute, denen unwohl ist, denen der Unsinn der vielen neu geschaffenen Pöstchen klar ist, die darüber den Kopf schütteln und die ihre Verantwortung und ihr Gewissen gewaltsam beruhigen müssen. Nutzt die einmalige Chance des Laborjournal, seines investigativen Journalismus. Es ist beileibe nicht nur Boulevardblatt oder Werbeorgan. Die Recherche muss zwar bei allem guten Willen hin und wieder unvollständig bleiben, dennoch ist es besser, so viel Wahrheit wie erkennbar zu enthüllen als sie ganz zu verschweigen. Auch Kritik an den Kritikern ist gut. Wenn ich mich verspreche und etwas falsch oder gar nicht verstanden habe, freue ich mich über jede Richtigstellung, jeden Brief und Kommentar.

Zum Glück ist der Ruf eines maulenden Profs ja schnell ruiniert – und es lebt sich ungeniert. Oder anders: Schlimmer geht immer.

Axel Brennicke ist Professor für Molekulare Botanik an der Universität Ulm und schreibt seit 84 Folgen die „Ansichten eines Profs“ im Laborjournal.


Letzte Änderungen: 11.07.2014