Editorial

Jetzt mal ehrlich

Tröpfchenschleuder

Von Friedrich Schuler und Felix von Stetten, Freiburg


Essays
Illustration: Tim Teebken

(07.07.2015) Kleine Tröpfchen sind ideale Reaktionsgefäße für die digitale isotherme Amplifikation von DNA. Herstellen lassen sie sich per Zentrifugalkraft auf einer DVD.

Bei der quantitativen PCR (qPCR) bestimmt man die DNA-Menge in einer Probe mit einer Standardkurve. Für viele aktuelle Problemstellungen ist die Präzision der qPCR jedoch nicht ausreichend. So ist es etwa bei der Verlaufskontrolle von Krebspatienten nötig, in regelmäßigem Abstand die absolute Menge freier, mutierter DNA im Blut sehr genau zu ermitteln (ein Anstieg der Krebs-DNA im Blut kündigt das Wiederaufflammen einer Krebserkrankung an). Je früher dies bemerkt wird, desto besser sind die Heilungschancen für den Patienten.

Allerdings sind die Veränderungen äußerst klein. Teilweise gilt es, nur einige wenige zusätzliche DNA-Moleküle zu finden und beispielsweise den Unterschied zwischen 100 und 130 vorhandenen Molekülen zu detektieren.

Eine Aufgabe, die mit der qPCR nur mit großem Aufwand zu bewerkstelligen ist. Die Anfang der 90er Jahre in Alec Morley's Labor an der Flinders University in Adelaide, Australien, entwickelte digitale PCR (dPCR) ist hierzu wesentlich besser geeignet und ermöglicht die absolute Quantifizierung der DNA ohne Standardkurven (Sykes et al., BioTechniques 1992, 13(3): 444-49)

Das Prinzip der dPCR lässt sich mit der Anwesenheit von Studenten in einem Studentenwohnheim veranschaulichen. Angenommen, in dem Wohnheim hat jeder Student ein eigenes Zimmer und bei Dunkelheit schaltet er das Licht ein, um fleißig zu lernen. Will man herausfinden, wie viele Studenten abends anwesend sind, muss man das Wohnheim nur von außen betrachten. Einige Studentenbuden sind dunkel und leer, da die darin wohnenden Studenten ihre Klausuren bereits hinter sich haben und in der Stadt feiern. Andere hingegen sind hell erleuchtet.

Zählt man, in wie vielen Zimmern das Licht brennt, weiß man, wie viele Studenten zu Hause sind. Einige Studenten haben sich aber auch in der Küche getroffen. Hier sieht man von außen nur ein erleuchtetes Fenster, obwohl zwei oder vielleicht sogar drei Personen in einem Raum sind. Dieser Fehler lässt sich leicht mit einer Poisson-Statistik korrigieren, indem man einfach ein paar zusätzliche Studenten zu den beleuchteten Räumen hinzuzählt.

Ganz ähnlich funktioniert auch die digitale PCR. Bei dieser wird ein Reaktionsmix vorbereitet, der nur wenig Ziel-DNA enthält. Bevor man die Reaktion startet, unterteilt man das Gesamtvolumen in zigtausende winzige Reaktionskammern. Da mehr Kammern als DNA-Moleküle vorhanden sind, sind nicht alle mit DNA-Molekülen befüllt. Wie die Studenten „knipsen” auch die DNA Moleküle während der Reaktion das Licht an, wenn Fluoreszenz-Sonden, die im Reaktionsmix enthalten sind, bei der Amplifikation gespalten werden. Zählt man die fluoreszierenden Reaktionskammern, erhält man die Anzahl der Zielmoleküle (korrigiert durch die Poisson-Statistik).

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Da eine Kammer entweder leuchtet oder nicht (1 oder 0), nennt man das Verfahren digitale PCR. Mit der dPCR ist es möglich, einzelne DNA-Moleküle zu zählen und die DNA-Menge in der Probe ohne Standardkurve direkt zu quantifizieren. Die Methode ist sehr präzise und erkennt minimale Unterschiede zwischen den DNA-Mengen einzelner Proben. Die dPCR ist deshalb unter anderem auch für die Verlaufskontrolle bei Krebspatienten geeignet.

Damit aber niemand tausende Reaktionsgefäße mit winzigen Flüssigkeitsmengen füllen muss, um eine einzige dPCR durchzuführen, wurden Geräte entwickelt, die diese Aufgabe übernehmen. Sie verteilen den Reaktionsmix auf viele kleine Vertiefungen oder generieren winzige Tröpfchen (Droplets) des Reaktionsmixes, die in Spezialölen schwimmen.

Diese Instrumente sind häufig sperrig und kompliziert zu bedienen. Zudem benötigt man bis zu vier verschiedene Geräte für die komplette Durchführung der digitalen PCR, und es sind zahlreiche manuelle Schritte erforderlich, bis das Endergebnis vorliegt. Da die Verteilung der Probe auf die Reaktionskammern oder -tröpfchen sowie die PCR Zeit in Anspruch nehmen, kann es durchaus Stunden dauern, bis man ein brauchbares Ergebnis in den Händen hält.

Um digitale PCR-Amplifikationen zu vereinfachen und zu beschleunigen, hat die Gruppe um Roland Zengerle am Institut für Mikrosystemtechnik der Universität Freiburg eine digitale Amplifikations-Technik entwickelt, die auf einem rotierenden Testträger basiert (Schuler et al., Lab on a Chip, 2015, 15, 2759-66). Das kompakte System ist schneller als kommerzielle digitale PCR-Verfahren und leicht zu bedienen. Als Reaktionskammern dienen Tröpfchen, die im Unterschied zu herkömmlichen Techniken durch Zentrifugalkräfte erzeugt werden.

Zunächst legt man eine Plastikscheibe (LabDisk) im DVD-Format in ein Prozessier-Gerät und befüllt diese mit Öl sowie dem Reaktionsmix. Drückt man auf „Start“, beginnt die Scheibe wie in einem DVD-Player zu rotieren.

Durch die Zentrifugalkräfte, die auf die Flüssigkeiten im System wirken, fließt der Reaktionsmix auf der LabDisk durch einen Kanal nach außen. Über eine Stufe mündet der Kanal in eine Kammer, die bereits mit Spezialöl gefüllt ist. Erreicht die Reaktionsmischung die Stufe, bilden sich durch das komplexe Zusammenspiel von Oberflächenspannung und Kanalform winzige Tröpfchen.

Bei diesem sogenannten Centrifugal Step Emulsification-Verfahren entstehen tausende exakt gleich großer Tröpfchen mit einem Volumen von ca. einem Nanoliter. Die Tröpfchen sammeln sich in einer flachen Kammer auf der LabDisk. Da sie in dieser nicht übereinander liegen können, bilden die Tröpfchen eine Einzelschicht (das ist für die spätere Fluoreszenzauswertung wichtig).

Gleichzeitig überziehen oberflächenaktive Reagenzien (surface active agents, kurz „surfactants“), die in dem Öl enthalten sind, die Tropfenoberfläche. Ähnlich wie Seifenschaum stabilisieren die Surfactants die Tröpfchen und verhindern, dass sich diese zu einem größeren Tropfen verbinden, sobald sie sich berühren.

Der komplette Reaktionsmix wird hierdurch in einzelne Tröpfchen verpackt, ohne kostbares Probenmaterial zu verschenken. Pro Sekunde entstehen auf diese Weise hunderte Tröpfchen und bereits nach etwa 15 Sekunden sind genügend für die Reaktion vorhanden. Im Gegensatz zur digitalen PCR basiert das Verfahren auf der isothermalen Amplifikation der DNA mit der Recombinase Polymerase Amplification (RPA)-Technik. Diese erlaubt die Vervielfältigung einzelner DNA-Moleküle bei konstant 39 °C in 30 Minuten. Die RPA ist also wesentlicher schneller als eine Standard-qPCR und benötigt keine Temperaturzyklen. Die fehlenden Temperaturzyklen haben aber einen Nachteil: Eine Quantifizierung wie bei der qPCR ist bei der klassischen RPA nicht möglich.

Einen Ausweg aus diesem Dilemma bietet die digitale droplet-RPA (ddRPA). Nach der Amplifikationsreaktion legt man hier die LabDisk in einen Fluoreszenzscanner und misst die Fluoreszenz in den Tröpfchen. Wie bei der digitalen PCR gibt die Anzahl der leuchtenden Tröpfchen Aufschluss darüber, wie viele DNA-Zielmoleküle im Reaktionsmix enthalten waren.

Die Kombination aus schneller Tröpfchenerzeugung und RPA liefert innerhalb einer halben Stunde die exakte Menge der eingesetzten DNA-Probe. Die manuellen Schritte sind hierbei auf ein Minimum reduziert (zwei Pipettierschritte und ein Scanvorgang). Um den Durchsatz zu erhöhen, können auf einer LabDisk bis zu acht Proben gleichzeitig prozessiert werden.

Digitale isothermale Amplifikationsverfahren sind deutlich schneller als die klassische digitale PCR. Hinzu kommt, dass die benötigten Geräte erheblich kleiner und kostengünstiger sind als klassische Thermocycler, weil sie nur eine konstante Temperatur erreichen und halten müssen.

Die digitale Amplifikation auf der LabDisk ließe sich auch mit vorhandenen Konzepten der Reagenzienvorlagerung und Fluidkontrolle kombinieren. Mit hierauf basierenden Einwegkartuschen wäre es zum Beispiel möglich, digitale Amplifikationsreaktionen vollautomatisch aus biologischen Proben (etwa Blut) durchzuführen.

Die ddRPA-Kartuschen würden es schließlich Patienten ermöglichen, die Anzahl relevanter DNA-Moleküle im Blut selbst zu bestimmen (Point of care Diagnostik). Aufwändige Arzt- oder Krankenhausbesuche könnten hierdurch entfallen, wodurch sich die Lebensqualität der Betroffenen erheblich verbessern würde.

Mit weiter fortschreitender Miniaturisierung sind sogar Instrumente denkbar, die so kompakt sind wie heutige Blutzuckermessgeräte und sich genauso einfach bedienen lassen.


Letzte Änderungen: 07.07.2015