Editorial

"Mehr Licht"

Mehr Effizienz durch Wettbewerbe?

Von Matthias Binswanger, Olten (CH)


(12.07.2016) Zu meinen, künstlich inszenierte Wettbewerbe steigerten die Effizienz der Forschung, ist Unsinn. In der Wirtschaft weiß man das schon länger.

Essays
Illustration: Fotolia / freshideas

In vielen Bereichen der Wirtschaft gibt es keine oder nur unvollständig funktionierende Märkte. Im Zuge einer zunehmenden Markt- und Wettbewerbsgläubigkeit ist man daher über die letzten Jahrzehnte auf die fatale Idee gekommen, künstliche Wettbewerbe zu inszenieren, um so die angeblich überlegene Effizienz der Marktwirtschaft bis in den hintersten Winkel jeder öffentlichen und privaten Institution voranzutreiben. Mit missionarischem Eifer werden überall Leistungsanreize gesetzt, doch was dabei als Leistung herauskommt, ist in Wirklichkeit meist Unsinn. Ein neues Gespenst geht also um in Europa. Es ist das Gespenst des künstlichen Wettbewerbs, welches sich zu einer neuen Ideologie entwickelt hat, in die sich ein großer Teil von Politik und Wirtschaft verrannt hat (siehe Binswanger, 2010).

Betrachten wir die Politik der letzten 25 Jahre, dann sind es überraschenderweise gerade sozialistische Regierungen, welche die Idee des künstlichen Wettbewerbs am stärksten vorangetrieben haben. Diese waren nämlich schon seit längerer Zeit daran, ihre alte, an Marx orientierte Ideologie über Bord zu werfen – und da kam ihnen der mit den Regierungen Thatcher und Reagan verbreitete neue Wettbewerbsenthusiasmus gerade recht. Zwar predigten sie keinen Staatshass im Sinne Milton Friedmans, aber staatliche Institutionen sollten durch künstlich inszenierte Wettbewerbe auf Pseudomärkten entbürokratisiert und auf Effizienz getrimmt werden.

Allen voran ging dabei der „sozialistische“ Nachfolger Margaret Thatchers, Tony Blair, indem er mit entsprechenden Reformen den bisherigen bürokratischen Staat (beziehungsweise das, was von diesem nach der Ära Thatcher noch übrig war) umzukrempeln versuchte. Wegen der Ähnlichkeit seiner Politik zu derjenigen seiner Vorgängerin bezeichnete ihn der Britische Historiker Hobsbawm daher als eine „Maggie Thatcher in Hosen“.

Im Schlepptau dieser „Maggie Thatcher in Hosen“ fühlte sich dann auch Gerhard Schröder in Deutschland dazu berufen, überall im Staat Wettbewerb zu propagieren – womit die Inszenierung künstlicher Wettbewerbe endgültig zum Standardprogramm „fortschrittlicher Sozialisten“ wurde.

Doch nicht nur die Politik, sondern auch Beratungsfirmen wie McKinsey sprangen auf den Zug auf. Diese hatten jetzt die monetär sehr attraktive, vom Steuerzahler finanzierte Gelegenheit, auch staatliche Institutionen wie Universitäten oder Spitäler zu „beraten“– und ihnen zu zeigen, wie man diese „marktwirtschaftlich“ auf Vordermann bringt und überall Wettbewerb walten lässt. So wird also heute politisch von rechts bis links Wettbewerb auch außerhalb des Marktes gepredigt, ohne dass man sich der negativen Folgen dieser neuen Ideologie bewusst ist.

In diesem Zusammenhang werden oft die Begriffe „Markt“ und „Wettbewerb“ in einen Topf geworfen, nach dem Motto: Wo Markt ist, da ist auch Wettbewerb – und umgekehrt. Doch das ist ein gewaltiger Irrtum. Markt und Wettbewerb sind keine siamesischen Zwillinge. Auf der einen Seite haben wir Märkte mit sehr wenig Wettbewerb, wie etwa bei einem Monopol oder einem Kartell; und umgekehrt gibt es unzählige Wettbewerbe, die mit einem Markt überhaupt nichts zu tun haben, wie etwa im Sport. Bei diesen Wettbewerben gibt es dann keinen Preismechanismus, der eine Anpassung des Angebots an die Nachfrage erzwingt, wie das bei einem funktionierenden Marktwettbewerb der Fall ist. So liefern sich die Läufer bei einer Olympiade einen Wettkampf um Medaillen, Ritter bestritten Turniere, um als Trophäe eine Braut entgegenzunehmen, und Wissenschaftler wetteifern miteinander um den Zuschlag eines Forschungsprojekts. All das sind Beispiele für Wettbewerbe ohne Markt.

Allgemein herrscht unter den Wettbewerbsenthusiasten die Ansicht, dass Wettbewerbe auch ohne Märkte für optimale Resultate sorgen. So lesen wir etwa in einer von der Schweizerischen Grossbank UBS herausgegebenen Broschüre „Verwaltungsmanagement“ (2005, S. 20):

„Der Staat muss daher in allen Bereichen vermehrt Wettbewerbssituationen schaffen, selbst dort, wo die Aufgaben beziehungsweise Leistungsangebote nicht direkt dem freien Markt ausgesetzt werden können. [...] Wo für öffentliche Dienstleistungen aus irgendwelchen Gründen kein marktwirtschaftlicher Wettbewerb geschaffen werden kann, müssen wettbewerbsähnliche Maßnahmen an dessen Stelle treten.“

Also versucht man überall, künstliche Wettbewerbe zu inszenieren, um so auch Bereiche wie Wissenschaft, Bildung oder Gesundheitswesen auf Effizienz zu trimmen. Wie im Spitzensport soll ein stetiger Wettkampf um Höchstleistungen stattfinden.

In der Realität erweist sich dieses Ideal aber schnell als naiver Wunschtraum. Würden „Wettbewerbe ohne Markt“ nämlich funktionieren, dann hätten auch die kommunistischen Planwirtschaften erfolgreich sein müssen. Dort gab es keinen Markt, aber jede Menge künstlich inszenierter Wettbewerbe, um so trotzdem Anreize für mehr Effizienz zu setzen.

In der ehemaligen DDR nannte man das sozialistischen Wettbewerb, denn schon Lenin schrieb nach dem Erfolg der Revolution in Russland: „Jetzt, da eine sozialistische Regierung an der Macht ist, besteht unsere Aufgabe darin, den Wettbewerb zu organisieren“ (Lenin, 1961, S. 405). Doch die sozialistische Planwirtschaft mit ihren künstlich inszenierten Wettbewerben scheiterte kläglich – und genau so kläglich scheitern wir auch mit den heutigen, künstlich inszenierten Wettbewerben.

Ein Beispiel aus der Zeit der Planwirtschaft möge das Problem illustrieren. Der ehemalige tschechische Wirtschaftsminister zur Zeit des Prager Frühlings und spätere Professor für Volkswirtschaftlehre an der Universität St. Gallen, Ota Sik, dessen Vorlesungen ich selbst in den 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts besucht habe, erzählte uns dazu folgende Geschichte. Wie andere Produktionsbetriebe auch, war die Schuhindustrie in der Sowjetunion durch geringe Arbeitsproduktivität und eine gewaltige Ressourcenverschwendung geprägt. Niemand hatte einen Anreiz, sich Mühe zu geben, denn die Löhne waren von der Produktion vollkommnen unabhängig – und dazu auch noch auf geringem Niveau. Was also tun in dieser Situation? Die naheliegendste Lösung, nämlich die Einführung von Märkten, war aus ideologischen Gründen nicht möglich. So blieben nur künstlich inszenierte Wettbewerbe, um bestimmte positive Effekte einer Marktwirtschaft zu simulieren – was ideologisch weniger bedenklich war. Also begannen die Wirtschaftsexperten mit der Suche nach Leistungskriterien, um deren Erfüllung sich die Arbeiter dann einen Wettbewerb liefern sollten.

Für die Schuhindustrie kamen die Experten auf die brillante Idee, einen Wettbewerb um möglichst hohen Materialverbrauch zu veranstalten, und den besten Arbeitern dann entsprechende „Leistungsprämien“ zu zahlen. Der Gedanke hinter dieser Tonnenideologie ist durchaus nachvollziehbar. Wer mehr Schuhe produziert, braucht mehr Material, dessen Verbrauch sich wiederum in Gewichtseinheiten messen lässt. Doch das Resultat war anders, als die Experten sich dies vorgestellt hatten. Im Verlauf weniger Jahre wurden die Schuhe immer schwerer. Die zuvor nur wenig motivierten Arbeiter in der Schuhindustrie zeigten sich plötzlich innovativ und entwickelten kontinuierlich neue Modelle, bei denen sie noch mehr Material verwenden konnten. Materialintensität ist allerdings nicht gerade eine Eigenschaft, die der Konsument beim Kauf eines Schuhes besonders schätzt. Statt die Effizienz der Wirtschaft zu erhöhen, bewirkte der künstlich inszenierte Wettbewerb die Produktion von immer klobigeren und unbequemeren Schuhen, die schließlich niemand mehr tragen wollte. Die hohe „Wettbewerbsfähigkeit“ der sowjetischen Arbeiter in der Schuhindustrie erwies sich folglich als fatal.

Schön, wird man sagen – das beweist eben die Unmöglichkeit eines planwirtschaftlichen Systems, welches zum Glück der Vergangenheit angehört. Die Schuhversorgung klappt in unseren Marktwirtschaften nämlich ganz hervorragend, und der Konsument kann aus einem Riesenangebot an modischen und leichten Schuhen auswählen.

Doch wenn wir uns einmal etwas genauer umsehen, dann können wir heute ganz ähnliche Phänomene wie in der planwirtschaftlich organisierten Schuhindustrie beobachten. Wiederum liefern sich tausende von Menschen mit Akribie und Fleiß in großem Umfang Wettbewerbe um irrelevante Leistungen und Produkte, die niemand haben will und deren Nutzen für den Normalsterblichen im Verborgenen bleibt. Nur ist der normale Konsument meist weniger davon betroffen, als durch die zu schweren Schuhe in der Sowjetischen Planwirtschaft. Mit vielen der durch künstliche Wettbewerbe in Wissenschaft, Bildung oder Gesundheitswesen erzeugten „Leistungen“ und „Produkte“ kommt er im Alltag gar nicht in Kontakt und merkt somit unmittelbar kaum etwas von diesem ganzen Unsinn.

Doch nicht nur die Produkte, auch das Verhalten wird durch künstlich inszenierte Wettbewerbe um messbare Kennzahlen pervertiert.

Ganz allgemein ist es mit der Korrelation von gemessenen Indikatoren und tatsächlich relevanten Leistungen in einer modernen Wirtschaft nicht weit her. Nehmen wir als Beispiel einmal die Kundenzufriedenheit, deren Verbesserung sich viele Organisationen auf die Fahne geschrieben haben. Heutzutage spricht man nämlich überall von Kunden: Staatsbürger sind Kunden der öffentlichen Verwaltungen, Studenten sind Kunden der Universitäten und Patienten sind Kunden ihrer Ärzte. Demzufolge ist die Steigerung der Kundenzufriedenheit das A und O nicht nur jeder privatwirtschaftlichen, sondern auch fast jeder öffentlichen Tätigkeit. Doch die Erzeugung von „Kundenzufriedenheit“ lässt sich als Leistung nicht direkt quantifizieren und messen. Also müssen Indikatoren her, die diese Kundenzufriedenheit irgendwie abbilden.

Mit der Entwicklung solcher Indikatoren sind Wissenschaftler und Berater seit längerer Zeit intensiv beschäftigt. Ein Aspekt der Kundenzufriedenheit ist zum Beispiel der schnelle und effiziente Umgang mit Beschwerden. Um diesem Umgang auf die Spur zu kommen, kann man etwa ermitteln, wie viele Kunden länger als zehn Tage auf die Behandlung ihrer Beschwerde warten mussten. Dieser Indikator hat den Vorteil, dass er leicht messbar ist, aber den Nachteil, dass seine Erhöhung kaum etwas zur Kundenzufriedenheit beiträgt. Werden die dafür zuständigen Mitarbeiter nämlich aufgrund dieses Indikators beurteilt, dann werden sie sich bald darauf konzentrieren, Beschwerden von Kunden zu erledigen, die bereits acht oder neun Tage warten, so dass die Grenze von zehn Tagen in keinem Fall überschritten wird. Sie gewinnen aber nichts, wenn sie gerade neu eintreffende Beschwerden bearbeiten, denn deren Bearbeitung führt zu keiner Verbesserung des gemessenen Resultats. Die Folge davon ist, dass die durchschnittliche Zeit für die Bearbeitung von Beschwerden zunehmen wird, was der Kundenzufriedenheit insgesamt nicht zu- sondern abträglich ist.

Natürlich wird man dieses kontraproduktive Resultat früher oder später (meistens später) anhand der Reaktionen von Kunden bemerken, und nach langen Diskussionen und Sitzungen darauf kommen, nicht die Zahl der Beschwerden zu messen, die länger als zehn Tage nicht bearbeitet wurden, sondern die durchschnittliche für die Bearbeitung aufgewendete Zeit. Doch auch die Freude über diese zunächst brillant anmutende Lösung wird nicht lange anhalten. Beurteilt man die Mitarbeiter nach dem neuen Indikator, dann werden sie sich mit der Zeit auf die leichten Fälle konzentrieren und diese auch umgehend beantworten. Schwierige Fälle lassen sie hingegen links liegen, denn deren Bearbeitung „lohnt“ sich nicht mehr. Auf diese Weise wird sich der gemessene Indikator zwar verbessern, doch die Kunden, deren Beschwerden unerledigt bleiben, werden ihr Missbehagen kaum für sich behalten und dem Image der Organisation schaden.

Die beiden eben beschriebenen Verhaltensreaktionen auf die Beurteilung von Mitarbeitern anhand von Indikatoren sind absolut typisch. Im ersten Fall konzentrierten sie sich darauf, einen bestimmten messbaren Aspekt der Kundenzufriedenheit zu erfüllen und vergaßen das eigentliche Ziel ihrer Tätigkeit. Im zweiten Fall konzentrierten sich die Mitarbeiter auf die Bearbeitung der leichten Fälle und ließen die komplizierten Beschwerden links liegen. Sie begannen damit Rosinen zu picken, was im angelsächsischen Sprachraum unter dem Begriff „Cream Skimming“ oder „Cherry Picking“ diskutiert wird.

Doch zurück zu unserem Beispiel und der Suche nach Indikatoren zur Messung von „Kundenzufriedenheit“. Hat man einmal festgestellt, dass sich der erfolgreiche Umgang mit Beschwerden mit keinem Indikator adäquat beurteilen lässt, wird man sicher bald zur Erkenntnis gelangen, dass es stattdessen ein ganzes Kennzahlen- oder Indikatorensystem braucht. Im einfachsten Fall kombiniert dieses einfach die beiden oben schon erwähnten Indikatoren. Es wird also die Zahl der Beschwerden, die länger als zehn Tage nicht bearbeitet wurden, kombiniert mit der durchschnittlichen Bearbeitungszeit – und beide Indikatoren werden dann mit je fünfzig Prozent gewichtet.

Doch schon bei einem so einfachen Indikatorensystem ist vom Schiff aus nicht mehr erkennbar, welche Anreize dadurch genau geschaffen werden. Zwar werden die durch die einzelnen Indikatoren gesetzten negativen Anreize abgeschwächt, aber genau dasselbe gilt auch für die beabsichtigten positiven Anreize. So wird der Anreiz, schwierige Fälle einfach liegen zu lassen, geringer, aber genau dasselbe gilt auch für den beabsichtigten Anreiz, die durchschnittliche Bearbeitungszeit zu reduzieren.

Je komplexere Indikatorensysteme eingeführt werden, umso komplexer werden auch die dadurch erzeugten Anreize. Für die Mitarbeiter wird es immer unklarer, wie sie sich optimal verhalten sollen, um bei den Indikatoren möglichst gut abzuschneiden. Und wie die Indikatoren mit der gesuchten Leistung (in diesem Fall Kundenzufriedenheit) wirklich zusammenhängen, wird zu einer Black Box. So setzt ein Indikatorensystem mit vielen Indikatoren kaum mehr wirksame Anreize und erzielt deshalb auch keine Leistungssteigerungen weder im erwünschten noch im unerwünschten Sinn. Hingegen führt die Entwicklung, Erhebung und Auswertung der Indikatoren zu einem enormen zusätzlichen bürokratischen Aufwand. Es werden in großem Ausmaß Potemkinsche Dörfer gebaut, bei denen mit Hilfe von Computern Unmengen an irrelevanten Daten erfasst, verarbeitet und gespeichert werden, die ein Wissen über die Qualität von Leistungen vorgaukeln, das in Wirklichkeit nicht vorhanden ist.

Zusammengefasst sorgen künstlich inszenierte Wettbewerbe im Gegensatz zu einem funktionierenden Marktwettbewerb also nicht dafür, dass die Produktion optimal auf die Bedürfnisse der Nachfrager angepasst ist. Nur wo Wettbewerb und Markt zusammenfallen und Marktwettbewerb herrscht, kann die von Adam Smith erstmals beschriebene „unsichtbare Hand“ unter bestimmten Bedingungen über das Preissystem wirken und für Effizienz sorgen. Bei Wettbewerben ohne Markt ist das hingegen nicht der Fall. Statt an den Bedürfnissen der Nachfrager orientieren sich die Produzenten eines Produktes oder einer Leistung an irgendwelchen Kennzahlen oder Indikatoren, die für den Erfolg im Wettbewerb maßgebend sind. Die Ausrichtung an diesen Kennzahlen führt jedoch nicht zu Effizienz, sondern sorgt für perverse Anreize, die dann folgerichtig auch perverse Resultate ergeben.

Dummerweise wird heute aufgrund solcher künstlich inszenierter Wettbewerbe massenhaft Unsinn produziert. Da werden von Wissenschaftlern mit Fleiß und Akribie jedes Jahr in Tausenden von Fachzeitschriften über Hunderttausende von Seiten hinweg Fragen beantwortet, deren Antwort niemand wissen will (siehe Binswanger, 2011). In unzähligen Projekten werden von Planern und Strategen Konzepte für Reformen und Neuorganisationen entworfen, ohne dass jemand Bedarf dafür angemeldet hat. Immer mehr junge Menschen werden über lange Jahre als Studenten in Hochschulen ausgebildet, um irgendwelche Bachelors und Masters zu erwerben, die nichts zu ihrem Können in ihrem zukünftigen Berufsleben beitragen. Es werden immer mehr medizinische Untersuchungen und Tests für die Prävention von Krankheiten durchgeführt, die nie eintreten. Und wenn wir einen für uns geeigneten Joghurt oder eine geeignete Universität auswählen wollen, werden wir mit aufwendig erstellten Qualitätslabels und Zertifikaten konfrontiert, die uns bei der Auswahl keine Hilfe sind.

Diese Entwicklungen sind aber, so wird uns gesagt, zentral für unseren Wohlstand und unser persönliches Wohlbefinden. Je mehr Fachartikel publiziert werden, je mehr Reformen durchgeführt werden, je mehr Menschen studieren, je mehr medizinische Untersuchungen wir haben, je mehr Qualitätslabels ausgestellt wurden – umso besser gehe es uns. Nur leider ist das nicht der Fall. Die Produktion nutzloser Erzeugnisse schafft zwar Arbeitsplätze, doch verhindert sie gleichzeitig die Produktion der qualitativ wertvollen Erzeugnisse, die tatsächlich benötigt werden. Sinn wird durch Unsinn verdrängt, Qualität durch Quantität – und die Freude an einer Tätigkeit durch Zuckerbrot und Peitsche.

Auf diese Weise ist eine neue Wettbewerbsbürokratie entstanden, welche die alte Beamtenbürokratie abgelöst hat. Doch die neue Bürokratie ist viel raffinierter, da sie unter dem Deckmantel von Markt, Wettbewerb und Effizienz daher kommt.

Matthias Binswanger ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Fachhochschule Nordwestschweiz in Olten und Privatdozent an der Universität St. Gallen. 2010 erschien von ihm das Buch „Sinnlose Wettbewerbe. Warum wir immer mehr Unsinn produzieren“.



Literatur

  • Binswanger, M. (2010). Sinnlose Wettbewerbe. Warum wir immer mehr Unsinn produzieren. Freiburg, Herder Verlag.
  • Binswanger, M. (2011). Künstliche Inszenierung – Über Wettbewerbe in Forschung und Lehre, in Forschung & Lehre 7/11
  • Lenin, W. (1961). Werke Band 26, September 1917 – Februar 1918. Berlin, Dietz Verlag, S. 405
  • UBS (2005). Verwaltungsmanagement. UBS Outlook, Impulse zur Unternehmensführung.

Letzte Änderungen: 12.07.2016