Editorial

Leithammelkultur

von Cornel Mülhardt


Nichts hat in der Weltgeschichte soviel Unheil angerichtet wie unklare Begriffe.




Man sagt, ein Bild erkläre mehr als tausend Worte. (Ver-)Urteilen Sie selbst.


Eine nette Debatte, die uns die CDU da in den vergangenen Wochen aufgehalst hat. Wollen die jetzt das Helmut-Prinzip zur Staatsräson machen?“, dachte ich. Dann fiel mir auf, dass alle von Leitkultur sprachen, aber nur die Wenigsten wussten, was damit gemeint war. Das kommt mir doch bekannt vor, das ist wie in der Forschung“, sagte ich zu mir - und mit einem Schlag war ich mit der Welt wieder im Reinen. Ich vermute, Sie kennen das. Als Neuling fällt es einem noch nicht so auf, all diese seltsamen Begriffe und man selbst ist der Einzige, der keine Ahnung hat, was sie bedeuten. Im Laufe der Zeit stellt man dann fest, dass die eigenen Kenntnisse zwar mächtig angestiegen sind, man aber dennoch ständig über Schlagworte stolpert, die einem wenig sagen, während sich alle anderen außenrum sehr sachkundig darüber unterhalten. Sehr sachkundig? Fragen Sie doch mal nach. Gelingt es ihrem Gegenüber nicht, Ihnen einleuchtend zu erklären, worum es sich handelt, liegt’s vermutlich daran, dass er es selbst nicht richtig verstanden hat. Selbst Professoren kann man mit dieser Methode eiskalt erwischen, wenngleich die es aufgrund jahrelangen Trainings besser verstehen, sich aus der Affäre zu ziehen.


Angstbegriffe

Mein Angstbegriff war Differential Display“. Viel konnte ich mir unter dem Ausdruck nicht vorstellen, womit ich scheinbar einsam und allein auf weiter Flur wandelte. Ich habe die Methode daher nie gemocht. Dabei ist die Idee ganz pfiffig. Schon seit Jahren sucht man händeringend nach einer Möglichkeit, die Genexpression in verschiedenen Zellpopulationen miteinander zu vergleichen, um zu ergründen, was die Leber zur Leber, die Niere zur Niere und den Krebs zum Krebs macht. Ganz abgesehen von den Fällen, wo man meint, da müsse irgendwo ein Unterschied in der Genexpression sein - nur nichts genaues weiß man nicht. Wüsste man’s, wär’s kein Problem, ein Experiment für einen detaillierten Nachweis zu schneidern.


Der Ankerprimertrick

1992 (richtig, das ist noch gar nicht so lange her) kamen dann Liang und Pardee auf eine Idee, die prompt mit einem Science-Paper belohnt wurde. Die beiden gingen davon aus, dass in einer durchschnittlichen Zelle wohl höchstens 15.000 Gene exprimiert sein dürften - eine hellsichtige Annahme, wurde doch kürzlich erst die Zahl der vermuteten menschlichen Gene von 100.000 auf 30-40.000 reduziert. Wenn es gelänge, den mRNA-Pool in ausreichend kleine Pools zu unterteilen, sollte es möglich sein, an alle exprimierten Gene heranzukommen, egal ob bekannt oder nicht - ein wichtiger Punkt damals, als man von komplett sequenzierten Genomen nur träumte. Der Trick bestand darin, die normale Reverse Transkriptions-PCR so zu modifizieren, dass man für die cDNA-Synthese statt eines normalen Oligo-dT-Primers einen sogenannten Ankerprimer, ein Oligo-dT mit zwei zusätzlichen Basen am 3'-Ende verwendet - wobei die vorletzte möglichst kein T sein sollte. Mit diesen Primern transkribiert man nicht mehr jede beliebige mRNA, sondern nur jede zwölfte, das wären statistisch gesehen nur noch 1250. Diese cDNA wird dann mit dem Ankerprimer und einem beliebigen Dekamer, sprich Primer von 10 Nukleotiden Länge, amplifiziert. Trennt man das Ergebnis anschließend über ein möglichst langes Polyacrylamid-Gel, erhält man eine hochkomplexes Muster aus etwa 100-200 Banden. Darin muss man nur noch nach Unterschieden zwischen den verschiedenen Versuchsansätzen suchen.


Der geflügelte Doktorand

Wie gesagt, tolle Methode... um unschuldige Doktoranden zu quälen. Denn so einfach es ist, auf diese Weise zu Banden zu kommen, so schwierig ist es, die Sache so zu gestalten, dass sie reproduzierbar wird. Andererseits ist die Technik genau auf die Psychologie des Jungforschers abgestimmt, denn nichts beflügelt den Doktoranden stärker als der nahe Sieg vor Augen. Aber ach! statt des Sieges folgt in der Regel eine lange Durststrecke. Die erfolgversprechenden Banden müssen nämlich isoliert und charakterisiert werden. Ein mühseliges Unterfangen, weil die Sequenzen, die man auf diese Weise fischt, das 3'-Ende der mRNA enthalten. Das aber ist normalerweise meilenweit vom kodierenden Teil entfernt und findet sich daher in keiner Datenbank. Jede Menge Arbeit, nur um am Ende feststellen zu müssen, dass es sich um Banales oder Unbekanntes handelt oder, schlimmste Variante, um etwas, das gar nicht unterschiedlich exprimiert wird. Unter Schmerzen wurde so schnell deutlich, dass die Wundermethode wunderbar viele Artefakte produzierte.


Wendung zum Besseren

Die Situation hat sich mittlerweile zum Besseren gewendet, wie ich mir habe versichern lassen. Keiner stürzt sich heute mehr auf Banden, die sich nicht ordentlich reproduzieren lassen. Auch hat sich die Technik geändert. Statt sich auf das Niedrigtemperatur-Roulette einer PCR mit Dekameren einzulassen, wird die cDNA mittlerweile mit Restriktionsenzymen verdaut und an die Schnittstelle ein Adapterfragment ligiert. Die Schönheit der Methode besteht darin, dass man Ankerprimer und Adapter zuvor mit spezifischen Sequenzen versieht und deshalb anschließend eine normale Hochtemperatur“-PCR durchführen kann. Die ist wesentlich weniger fehleranfällig. Außerdem liefert so jede mRNA nur eine Bande, während Zufalls-Dekamere oft häufiger an eine cDNA binden und so zu Mehrfachbanden führen. Nicht zuletzt führt man mit der Wahl des Restriktionsenzyms einen weiteren Selektionsschritt ein, der die Zahl der Banden im Ansatz weiter reduziert und so klarere Ergebnisse liefert. Alles in allem steigt die Reproduzierbarkeit auf diese Weise erheblich.

Die neueste Entwicklung geht sogar noch einen Schritt weiter. Um die Spezifität noch mehr zu erhöhen, werden zusätzlich zu den Basen der Restriktionsschnittstelle auch einige der benachbarten, 3'-wärts gelegenen Basen der cDNA für die Amplifikation herangezogen“ (ähnlich wie beim Ankerprimer). Zwar steigt dann der Arbeitsaufwand so sehr an, dass man nur mit einem Roboter eine Chance hat, der Sache Herr zu werden - bei vier zusätzliche Basen benötigt man immerhin 256 passende Primer und ebensoviele PCR-Reaktionen - doch kann man so die Zahl der amplifizierten Fragmente je Ansatz so weit reduzieren, dass sich nahezu jede mRNA persönlich identifizieren lässt. Dies selbst dann, wenn man ihre Sequenz noch nicht kennt. Trotz der Verbesserungen bleibt allerdings ein Problem: Eine reproduzierbare Bande mag für Morgenröte im Labor sorgen, einen Sommer, macht sie deswegen noch nicht. Kontrolle mit unabhängigen Methoden tut in jedem Fall not, sei es über Hybridisierungen (Dot Blots, Northern, DNA-Chip - was das Labor-Budget so hergibt) oder quantitative PCR.


Der Glaube kehrte wieder

Ursprünglich wollte ich diesen Artikel mit einem Abgesang auf die Differential Display-PCR (DD-PCR) enden lassen. Allein, der Glaube kehrte beim Schreiben wieder. Auch wenn langfristig die DD-PCR durch DNA-Chips verdrängt werden wird, weil diese ein wesentlich systematischeres Vorgehen erlauben, wird Differential Display noch für eine ganze Weile interessant sein. Sie liefert einem zwar nicht alle Gene, deren Expression sich ändert, aber doch etliche, sie ist billig, mit handelsüblichem Equipment durchführbar und man benötigt keine Kenntnisse über die Sequenzen des untersuchten Organismus, was zur Zeit in vielen Fällen noch immer ein Vorteil ist.

Doch seien Sie gewarnt. Sollte Ihr Chef im neuen Jahr mit der wunderbaren Idee aufwarten, man könne es doch mal mit Differential Display versuchen“, dann stellen Sie sich lieber taub. Es sei denn, Sie sind bereit, sich hauptamtlich für längere Zeit damit auseinander zu setzen. Trotz aller Fortschritte ist es noch immer eine Methode, deren Erfolg stark von der ernsthaften Arbeitsweise des Durchführenden“ abhängen.

Nicht alles verstanden? Trotzdem interessiert? Macht nichts, hier die Paper mit den Details: Liang, Pardee (1992) Science 257, S. 967; Prashar, Weissman (1996) PNAS 93, 659-663; Sutcliffe et al. (2000) PNAS 97, 1976-1981. (cornel.muelhardt@web.de)




Letzte Änderungen: 08.09.2004