Editorial

Mehrachsige Streckbank

Der IsoStretcher

Mario Rembold


Zelldehnung in-vitro ist ziemlich knifflig will man in-vivo-Szenarien realistisch nachbilden. Mit dem IsoStretcher kommt man der Natur aber ziemlich nahe.

Viele Zellen reagieren auf mechanische Einwirkungen wie Druck, Verformung und Dehnung. Je nach Zelltyp kann sich dadurch die Genexpression verändern, etwa bei Differenzierungsprozessen während der Musterbildung. Auch sehr viel schnellere Effekte sind möglich, beispielsweise wenn sich Calciumkanäle öffnen, weil Kardiomyozyten gestreckt werden. Klar, dass auch im Labor fleißig an Zellen gezerrt wird – von neugierigen Forschern, die sehen wollen, was dann passiert.

Experimentatoren haben verschiedene Möglichkeiten, wenn Sie Zellen dehnen wollen. Das Mittel der Wahl hängt natürlich davon ab, was man herausfinden möchte. Manchmal genügt es, Zellen eine zeitlang unter Einwirkung mechanischer Kräfte zu inkubieren und sie erst später zu untersuchen – etwa immunhistologisch oder per Transkriptomanalyse. Wer hingegen wissen will, wann Ionen einströmen und wie lange solche kurzfristigen Effekte anhalten, der muss die lebenden Zellen beobachten, während sie auf der Streckbank liegen. Hier kann man zu Indikatorfarbstoffen greifen, zum Beispiel Fluo-4, um die Calciumkonzentration sichtbar zu machen.

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Angetrieben durch einen feinjustierbaren Schrittmotor dreht sich der Zahnriemen des IsoStretchers in winzigen Schritten. Hierdurch wird die im Zentrum der Aufnahmescheibe eingespannte PDMS-Membran mitsamt den darauf anhaftenden Zellen gleichmäßig radial nach außen gedehnt. Foto: Labor Friedrich

Nicht besonders feinfühlig

Eine ziemlich alte und kostengünstige Dehnmethode nennt sich Micropipette Aspiration. Bei dieser hält man die Zelle mit einer Pipette fest. Über den Sog und den Durchmesser der Pipette kann man mit einer definierten Kraft an der Zelle ziehen. Je nach ihrer Festigkeit wird dabei mehr oder weniger viel Zellvolumen in die Pipette hineingesaugt. Mit diesem Verfahren bestimmten Zoologen schon in den 1950er-Jahren mechanische Eigenschaften von Seeigel-Eiern. Die Technik ist kostengünstig, aber natürlich auch vergleichsweise grobschlächtig. Zellen können beschädigt werden, und man kann auch nicht an ganzen Zellverbänden ziehen.

Auch mit kleinen Nadeln lassen sich Zellen verformen. Meist verwendet man dafür den (leicht modifizierten) Cantilever eines Rasterkraftmikroskops. Dieser ähnelt dem Arm eines Schallplattenspielers. Wird die Spitze des Cantilevers an die Zellmembran geklebt, übt er eine mechanisch Kraft auf die Zelle aus und zieht sie in die Länge. Zieht man so lange, bis sich die Zelle ablöst, erhält man ein Maß für die Kraft, mit der einzelne Zellen an einer Oberfläche oder an anderen Zellen anhaften. Auch der Elastizität und Steifheit von Zellen kommt man so auf die Spur. Das Rasterkraftmikroskop ist ein äußerst feinfühliges Werkzeug, das Kräfte in der Größenordnung von Piconewton ausüben und messen kann (siehe auch Laborjournal 11/2015, S. 44-47).

An Zellverband zerren

Auch für Forscher, die ganze Zellverbände dehnen wollen, gibt es Lösungen. Sie basieren zumeist auf einer Trägermembran aus einem elastischen Material, üblicherweise Polydimethylsiloxan (PDMS). Damit Zellen und Kulturmedien daruaf Halt finden, muss man ihre hydrophobe Oberfläche zunächst vorbehandeln. Nach dem Anätzen des Materials mit einer Mixtur aus Wasserstoffperoxid und Salzsäure benetzt man die Fläche mit Proteinen der extrazellularen Matrix. Womit man den elastischen Untersatz beschichtet, hängt davon ab, welche Zelltypen man untersucht. Zieht man die PDMS-Membran anschließend auseinander, werden auch die darauf adhärierten Zellverbände gedehnt.

An der Friedrich-Alexander Universität in Erlangen tüftelt das Team um Oliver Friedrich seit einigen Jahren an einem Gerät, in das man eine PDMS-Membran mit anhaftenden Zellen einspannen und gleichmäßig in alle Richtungen dehnen kann. Herausgekommen ist der IsoStretcher, den Friedrich und Co. in Biosensors and Bioelectronics vorstellen (15, 81, 363-72). Der IsoStretcher passt auf gängige Objekttische, ist also auch für die Lebendzell-Mikroskopie geeignet. Zwei IsoStretcher-Prototypen nutzen Friedrichs Mitarbeiter am Lehrstuhl für Medizinische Biotechnologie in Erlangen, ein weiteres Gerät haben sie an Kollegen in Sydney weitergegeben.

In der Vergangenheit dehnten Forscher Zellen nur in eine Richtung (uniaxial), bemängelt Friedrich. Die PDMS-Membranen wurden also nur uniaxial auseinander gezogen, so wie man es sich modellhaft in einem Skelettmuskel vorstellt. „Muskeln waren so eine Art Prototyp für ein mechanisch beanspruchtes System“, erklärt Friedrich. Das simple Zerren entlang einer Achse spiegelt aber nicht immer die in-vivo-Bedingungen adäquat wider. „Denken Sie mal an Hohlorgane“, wirft Friedrich an dieser Stelle ein. Beispiele hierfür sind Magen oder Harnblase, deren Wände sich ausdehnen, wenn sich das Organ füllt. „Da werden die Zellverbände eben nicht nur in einer Richtung mechanisch belastet“, betont Friedrich. Auch die Herzwand dehnt sich eher wie ein Luftballon aus, der aufgeblasen wird, und nicht wie ein Gummiband, das man auseinanderzieht. Zudem weist Friedrich darauf hin, dass selbst im Skelettmuskel genau genommen nicht bloß entlang einer Achse gezogen wird. „Eigentlich finden auch dabei Dehnungen in mehrere Richtungen statt.“

Aufblasen wie Luftballon

Und so wollten Forscher auch in-vitro ein komplexeres Dehnverhalten nachbilden, um etwa die Funktion von ­Hohlorganen realistischer in Zellkulturen zu simulieren. „Systeme zu entwickeln, mit denen sich Zellen und Gewebeverbände in mehrere Richtungen dehnen lassen, ist eine Herausforderung“, stellt Friedrich fest. Einige Forscher lösten das Problem mit pneumatischen Apparaturen. So bietet der Hersteller Flexcell Geräte an, in die man Kulturen auf PDMS-Membranen einspannt und luftdicht abriegelt. Durch einen Luftdruck oder einen Sog wird die Membran dann nach oben oder nach unten gewölbt – ähnlich einem Luftballon, der aufgeblasen wird. Tatsächlich simuliert man so das mechanische Prinzip von Hohlorganen.

Beim Mikroskopieren haben solche Methoden aber große Nachteile, erklärt Friedrich. „Die Fokusebene verschiebt sich extrem stark, und man hat hier auch keine Möglichkeit, adäquat nachzujustieren.“ Dann bleibt oft nur der Ausweg, Zellen zu fixieren und später zu untersuchen. „Mechano-Signalling kann aber mitunter sehr schnell über Bruchteile von Sekunden stattfinden“, so Friedrich. „Deswegen war es notwendig, auch Systeme zu entwickeln, bei denen man direkt schauen kann, was während des Dehnprozesses passiert.“

Die zentrale Frage für Friedrichs Team lautete also: Wie schafft man es, die ­Fokusebene stabil zu halten? Die Lösung aus Erlangen besteht aus einem Zahnriemen, der an einer waagerecht liegenden Scheibe dreht (siehe Foto). In der Mitte der Scheibe ist eine Öffnung frei gelassen, in der eine runde PDMS-Membran mit knapp eineinhalb Zentimetern Durchmesser Platz findet. Die Membran lässt sich sowohl von oben als auch von unten beleuchten, so dass das System für die Mikroskopie geeignet ist. Die eingesetzte PDMS-Membran hat in der Mitte ein Reservoir für die Zellen, das entsprechend vorbehandelt werden muss, damit Zellen oder Zellverbände anhaften können. Am Rand der Membran sind kreissymmetrisch sechs Löcher positoniert, in die ein Haken greift: die sechs Haken ziehen die Membran gleichmäßig auseinander.

Fokusebene bleibt erhalten

Die technische Herausforderung bestand darin, die durch den Keilriemen erzeugte Rotation der äußeren Scheibe auf die sechs Haken zu übertragen und in eine radial nach außen wirkende Kraft zu übersetzen. Jeder Haken zeigt wie eine Speiche nach außen und krümmt sich dort wieder nach oben zu einem zweiten Haken. Diese äußeren Haken werden durch sechs Löcher eines Rings geführt, der auf der rotierbaren Scheibe aufliegt. Sie landen in jeweils einer Rille eines darüber liegenden Übersetzungsrings. Jede Rille beginnt innen und läuft ein Stück nach außen. Dreht sich die vom Keilriemen angetriebene Platte, bewegt sich auch der Übersetzungsring und damit die Rille. Diese führt den Haken ­radial nach außen – wie es eine sich rückwärts drehende Schallplatte mit der Nadel tun würde. Dadurch zieht der innere Haken an der PDMS-Membran. Weil alle sechs Haken gleichzeitig ziehen, wird die Membran in mehrere Richtungen gedehnt – ohne hierbei die Fokusebene zu verschieben.

Friedrich und Kollegen haben den IsoStretcher mit fluoreszierenden Beads getestet, die auf der PDMS-Membran fixiert waren. Die Forscher zeigten, dass sich die Position der Leuchtpunkte beim Dehnvorgang wie erwartet radial nach außen verschiebt. Wählt man mehrere Beads aus und nimmt sie als Eckpunkte eines gedachten Polygons, so vergrößert sich der Polygon-Flächeninhalt, während die Membran auseinandergezogen wird. Bei maximaler Ausrichtung nimmt der Flächeninhalt um fast zwanzig Prozent zu, wobei die Fokusebene auf 10 µm genau stabil bleibt. Die Erlanger hatten auch diverse Zelllinien auf den Membranen angebracht und erfolgreich auseinandergezogen. Für HL1-Myozyten zeigten sie einen dehnungsaktivierten­ Calciumeinstrom.

Nicht überdehnen

Allerdings kann man nicht das ganze Dehungspotential der Trägermembran ausnutzen, um Zellen auseinander zu ziehen. Wie weit diese sich wirklich verformen lassen, hängt von deren mechanischen Eigenschaften ab. So waren Fibrosarkomzellen, die Laminin A überexprimieren, weniger elastisch. „Man muss das für jeden ­Zelltyp validieren“, mahnt Friedrich an dieser Stelle. „Sonst schreibt vielleicht jemand, er hätte bis zwanzig Prozent gestretched und das Signalling untersucht, und die eigentlichen Zellen haben sich längst abgelöst, so dass eben nur die PDMS-Membran gedehnt wurde.“

Um die runden PDMS-Membranen für den IsoStretcher im Labor zu gießen, hat Friedrichs Team spezielle Förmchen entwickelt. So kann der Endanwender dann auch von der Rezeptur abweichen und Membranen mit einer anderen Steifheit herstellen, je nach dem, welche Zellen er untersuchen will. „Das Zellverhalten kann sich nämlich auch in Abhängigkeit zur Substratsteifheit ändern“, begründet Friedrich. Mit dem Handwerkzeug zum Selbergießen bleibt der Experimentator flexibel – sofern es das Gerät irgendwann zu kaufen gibt. Man verhandle aber schon mit einer Firma, verrät Friedrich, möchte derzeit aber noch keine Details nennen. Wir dürfen also gespannt sein, ob wir bald mehr vom IsoStretcher hören.






Letzte Änderungen: 11.06.2016