Editorial

Sehen und gesehen werden

von CORNEL MÜLHARDT


Ein wenig Physik, eine Handvoll Tricks und ein Freund namens FRET sind die Voraussetzungen für die Quantifizierung eines PCR-Produkts. Real Time Quantitative PCR, Teil 1.



Vielleicht kennen Sie Mein Freund Harvey“. Mein Harvey heißt Fret. Fret unterscheidet sich von Harvey in einem wichtigen Punkt: Fret kann man sehen. Manchmal zumindest, und den richtigen Versuchsansatz vorausgesetzt. Dann ist er messbar, was das Wissenschaftlerherz natürlich höher schlagen lässt. Fret schreibt sich eigentlich FRET, woran Sie erkennen können, dass es sich um eines dieser kryptischen Kürzel handelt, die den Eingeweihten schlauer und den Ahnungslosen dümmer aussehen lassen. Dabei scheint man sich noch nicht einmal ganz einig zu sein, ob F nun für Fluoreszenz oder für Foerster steht - letzteres war vermutlich der Mann, der zuerst die bahnbrechende Entdeckung machte. Bei RET ist man sich jedenfalls einig in der Interpretation, es stehe für Resonanz Energie Transfer. Leider handelt es sich dabei um ein physikalisches Phänomen und erfahrungsgemäß haben biologisch vorgebildete Zeitgenossen wie Sie und ich eine heilige Scheu vor allem, was mit Physik zu tun hat. Deswegen haben wir schließlich eine biologische Laufbahn eingeschlagen, nicht wahr? Doch wie das Schicksal so spielt, kann selbst ein Biologe der Physik nicht immer entgehen. Da will man nichts weiter als eine kleine Methode zur DNA-Quantifizierung mittels PCR, und schon ist’s passiert. Dabei ist FRET nicht nur höchst faszinierend, sondern auch ein wunderbares Beispiel für eine kreative Nutzung der Steinbrüche der modernen Physik.

Quantifizierung kleiner DNA-Mengen mittels PCR ist, wie wir letzten Monat gesehen haben, ein etwas mühseliges, fehleranfälliges Geschäft. Doch zum Glück zirkuliert in der Bioforschung derzeit jede Menge Geld - welches bekanntlich vieles möglich macht, wenn nur am Ende ein Gewinn winkt. Dafür lohnt es sich offenbar, gelegentlich ein wenig intensiver nachzudenken.

Und das ging ungefähr so: Um den Erfolg einer PCR zu quantifizieren, tragen wir üblicherweise einen Aliquot des Ansatzes auf ein Agarosegel auf, das wir anschließend unter UV-Licht betrachten. Wieso sollte man sich das Leben nicht erleichtern, indem man die UV-Lampe (mitsamt einem Detektor) gleich in das PCR-Gerät mit einbaut? Ein wenig Ethidiumbromid direkt in den Ansatz, und schon müsste man in der Lage sein, die entstehende DNA nicht nur mit wenig Aufwand, sondern auch direkt (real time“) und in Farbe messen zu können. Das funktioniert tatsächlich, wenngleich Ethidiumbromid für diese Zwecke wegen des schlechten Signal-Hintergrund-Verhältnisses nicht der günstigste Farbstoff ist. Man verwendet statt dessen das empfindlichere SYBR green I.

Leider resultiert daraus ein Problem, weil diese Farbstoffe sich blindwütig an alles anlagern, was nach doppelsträngiger DNA aussieht. Nun weiß der leidgeprüfte PCRist, dass so eine Amplifikation Doppelstränge ohne Ende produziert, die nur leider häufig nichts mit dem gewünschten Produkt zu tun haben. Je schwieriger die Amplifikation ist, desto höher wird der Anteil an (doppelsträngigem) Schrott sein. Wer wirklich absolut sicher sein will, das Richtige amplifiziert zu haben, wird daher nicht nur ein Gel fahren, sondern dieses zusätzlich blotten und mit einer spezifischen Sonde hybridisieren - denn die Größe allein ist ein absolut untaugliches Selektionskriterium, wenn die gesuchte Bande gerade mal 200 bp groß ist.


Pfriemelige Geschäfte

Genialerweise lässt sich diese Testhybridisierung ebenfalls in diesen klitzekleinen PCR-Tube integrieren - dank Fret und Trick. Der Trick besteht darin, dass man in der Zahl der Primer, die man in seine Reaktion kippt, ja keineswegs limitiert ist. Der normale Mensch nimmt zwei, sicher. Nimmt er nur einen, kann er sequenzieren. Nimmt er vier, sechs, acht oder noch mehr, dann führt er eine Multiplex-PCR durch. Doch wer sagt, dass Primer nur zur DNA-Synthese verwendet werden dürfen? Damals - in der guten alten Zeit, als Menschen noch im Schweiße ihres Angesichts Filtermembranen hybridisierten, um neue Gene zu entdecken - verwendeten bereits einige Waghalsige Oligonukleotide als Sonden. Ein furchtbar pfriemeliges Geschäft, nur so nebenbei gesagt, aber mitunter funktionierte es sogar. Wieso also das Ganze nicht in einen PCR-Tube integrieren? Es klappt tatsächlich: Während die zwei äußeren Primer für die Amplifikation sorgen, hybridisiert der dritte mittendrin fröhlich vor sich hin.


Hilft nur nix, weil man davon nichts sieht. Hier kommt endlich Fret ins Spiel. Fret ist nämlich ein wunderbares Phänomen, das - grob gesprochen - folgendermaßen aussieht: Fluoreszenzfarbstoffe werden üblicherweise mit Licht einer bestimmten Wellenlänge A1 angeregt und geben die Energie anschließend in Form von Licht der Wellenlänge E1 wieder ab. Im UV-Mikroskop verwendet man einen Filter, der E1 passieren lässt, A1 aber nicht - das sieht dann so aus, als würde das Objekt, das man sieht, ganz von alleine leuchten.

A1 und E1 sind charakteristisch für den jeweils verwendeten Farbstoff. E1 kann daher identisch sein mit der Wellenlänge A2, mit der sich ein anderer Farbstoff anregen lässt, der daraus seinerseits Licht der Wellenlänge E2 macht. Das wäre aufgrund der geringen Wahrscheinlichkeit, mit der ein Photon von einem Farbstoffmolekül zum anderen hüpft, eine akademische Spielerei, wäre da nicht Fret. Auf magische Weise (sollte das womöglich etwas mit Resonanz zu tun haben!?) sorgt der dafür, dass die Energie praktisch verlustfrei weitergereicht wird, sofern die beiden Farbstoffe nur nah genug beieinander sind. Interessanterweise ist der maximal zulässige Abstand erstaunlich groß - immerhin groß genug, um fast von einem Ende eines Primers zum anderen zu reichen. Die pfiffige Idee bestand also darin, den dritten Primer bei der Synthese mit zwei Farbstoffen zu koppeln, die zueinander komplementär“ sind. Solche Primer werden meist als TaqMan-Probe bezeichnet.


Beendete Verhältnisse

Das alleine hätt’s noch nicht gebracht, wäre da nicht eine Eigenschaft der Taq-Polymerase, die meist vergessen wird, nämlich ihre 5'-3'-Exonuklease-Aktivität. Damit entfernt die Taq auf ihrer Reise über das Template alles an DNA, was sich ihr in den Weg stellt, beispielsweise unseren dritten Primer, der so in seine einzelnen Basen atomisiert wird, einschließlich der beiden daran gekoppelten Farbstoffe. Damit findet das innige Verhältnis der beiden ein schlagartiges Ende und so auch der Resonanztransfer. Die Konsequenz? Leuchtete einem zuvor beim Bestrahlen des Tubes mit Licht der Wellenlänge A1 die Wellenlänge E2 entgegen, erhält man nun (zumindest von diesem Farbmolekül-Pärchen) die Wellenlänge E1 zurückgeschickt. Weil die Zahl der geschredderten TaqMan-Primer mit jedem PCR-Zyklus größer wird, wird die Intensität an E1 im Laufe der Zeit steigen und zwar proportional zur Menge an (spezifischem!) PCR-Produkt. Damit hat man zwar noch lange nicht quantifiziert, aber zumindest schon mal die wichtigste Voraussetzung dafür geschaffen. Den Rest der Geschichte heb’ ich mir für nach den Sommerferien auf.

Ein Zückerli hätt’ ich allerdings noch. In der Literatur werden die beiden Farbstoffmoleküle der TaqMan-Sonde auch gerne als Reporter“ (to report = berichten) und Quencher“ (to quench = löschen) bezeichnet. Das klingt so, als würde Farbstoff 2, der Quencher, das Licht im PCR-Tube ausknipsen. Dem ist natürlich nicht so. Womit wieder bewiesen wäre, dass es in der Wissenschaft zugeht wie im richtigen Leben: Wer nur E1 misst, sieht auch nur E1! Es geht aber auch anders. Parallel zum TaqMan-Prinzip gibt es auch noch eine zweite Methode, die sich ganz trivial hybridization probe“ nennt und bei der zwei benachbarte spezifische Primer mit jeweils einem gekoppelten Farbstoff (F1 bzw. F2) zum Einsatz kommen. Gemessen wird hier, oh Wunder, Wellenlänge E2. Hybridisieren nämlich beide Primer an das Template, kommt es zum Resonanztransfer, nicht hybridisierte oder verdaute Primer dagegen liefern kein Signal E2, sehr wohl aber Licht der Wellen-länge E1. In diesem Fall ist Farbstoff 2 der Reporter. Womit bewiesen wäre: Nicht nur die Schönheit, auch der Quencher liegt offensichtlich im Auge des Betrachters.




Letzte Änderungen: 08.09.2004