Editorial

Verpackungskünstler

Aktivierung mit CRISPR/Cas9

Miriam Colindres


Methoden

Die eleganteste Lösung eines Problems beschränkt sich auf das Wesentliche. Diese Maxime gilt auch für ein neues CRISPR/Cas9-Genaktivierungs-System, das soweit abgespeckt wurde, bis es in einen Adeno-assoziierten Virus passte.

CRISPR/Cas9 ist in kürzester Zeit zum Standardwerkzeug für das Genom-Editing geworden. Doch ein entscheidendes Manko schränkt den Nutzen für therapeutische Zwecke noch ein: Das System arbeitet ungenau und erzeugt unerwünschte Mutationen aufgrund von Doppelstrangbrüchen.

Mit CRISPR/Cas9 ist es aber auch möglich, die Genexpression zu regulieren und epigenetische Veränderungen zu erzeugen, ohne DNA-Doppelstrangbrüche und damit einhergehend unerwünschte permanente Mutationen in den Zielgenomen zu verursachen. Wissenschaftler haben die Cas9-Schere dazu stumpf gemacht. Um dies zu erreichen, haben sie „tote“ Cas9-Varianten, sogenannte dead Cas9 (dCas9) ohne Nuklease-Aktivität, mit der Aktivierungsdomäne VP64 verschmolzen. Auf diese Weise wandelten sie das CRISPR/Cas9-Editions-System in einen ­Trans-Aktivator um, der Zielgene transkriptionell aktiviert, ohne Doppelstrangbrüche zu verursachen.

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Die zwei Erstautoren der Genaktivierungs-Studie, Hsin-Kai Liao (r.) und Fumiyuki Hatanaka, demonstrieren, wie man den Platz in einem AAV-Vektor optimal ausnutzt, um die nötigen Werkzeuge des CRISPR/Cas9-Genaktivierungs-Systems unterzubringen.
Foto: Salk Institute

Die Effizienz von dCas9-VP64 lässt aber zu wünschen übrig. Um sie zu erhöhen und gleichzeitig die CRISPR/Cas9-vermittelte Zielgenaktivierung (TGA) mit single guide RNAs (sgRNAs) zu verbessern, fusionierten Forscher Aktivierungsdomänen an den ­dCas9/­gRNA-Komplex. Diese TGA-Systeme der zweiten Generation sind für ­funktionelle genetische Studien mit sgRNAs in vitro geeignet – für In-vivo-Experimente sind sie aber kaum zu gebrauchen. Zum einen ist die Transduktion von Cas9 in vivo unzureichend, und zum anderen erreicht man nur eine geringe Aktivierung der Zielgene.

Ein großes Problem ist die Länge der DNA-Sequenzen, die für dCas9/gRNA und die Aktivierungs-Komplexe kodieren. Sie übersteigt die Kapazität der meisten gängigen viralen Vektoren (etwa des Adenoassoziierten Virus, AAV), mit denen die DNA in die Zielzellen eingeschleust wird.

Neu verpackt

Die Gruppe von Juan Belmonte vom Salk Institute for Biological Studies in La Jolla, Kalifornien, entwickelte deshalb ein System, bei dem die Aktivatoren von Cas9 getrennt sind und zusammen mit der sgRNA in einem AAV Platz finden (Cell 171, 1-13).

Hierzu passten seine Mitarbeiter die Aktivierungs-Einheit (SAM-Modul) eines bestehenden TGA-Systems an den vorhandenen Platz in einem AAV-Vektor an. Das konventionelle SAM-Modul besteht aus der ­dCas9-VP64-Fusion, einer sgRNA mit zwei schleifenförmigen MS2-Aptameren sowie einem sogenannten MS2-P65-HSF1 Hilfskomplex (MPH), der über die MS2-Domänen an die Aptamere bindet. Der SAM-Komplex wird von der sgRNA zum Ziel-Locus geleitet und aktiviert dort die Expression des anvisierten Gens.

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Die Gruppe um Juan Belmonte vom Salk Institut testete das neue CRISPR/Cas9-Genaktivierungs-System an Mäusen, die als Modell für verschiedene Krankheiten dienten.
Foto: Salk Institute

Das Team um Belmonte verkürzte die sgRNAs von 20 auf 14 Basenpaare und verwendete statt dCas9 Wildtyp-Cas9. Der Clou ist, dass die kurzen sgRNAs Doppelstrangbrüche durch Cas9 verhindern. Sie werden deshalb auch als dead sgRNAs oder kurz dgRNAs bezeichnet. Wie üblich enthalten auch sie MS2-Domänen, die den MPH-Aktivierungskomplex zusammenfügen.

Die Zielgen-Aktivierung des modifizierten SAM-Moduls überprüften die Forscher in vitro mit einem Luciferase-Testsystem. Hierzu konstru­ierten sie einen Luciferase-Reporter, der eine dgRNA-Bindestelle enthielt, gefolgt von einem Minimalpromotor und einer Luciferase-Expressionskassette. Dann änderten sie systematisch die MS2-dgRNA-Sequenzen, die an den Luciferase-Reporter banden. Das Ziel war eine möglichst hohe Luciferase-Aktivität. Die Gruppe optimierte die ­MS2-dgRNA-Domäne, indem sie das GC-Verhältnis änderten und/oder repetitive Sequenzen kürzten. So fanden sie die Sequenz, die die höchste Reporter-Aktivität induzierte.

Erstaunlicherweise war die Aktivierung vergleichbar mit der des ursprünglichen dCas9-VP64-Komplexes. Auf VP64 konnten die Forscher somit verzichten – damit war der Weg frei für die effiziente In-vivo-Genaktivierung mit CRISPR/Cas9-AAV-Vektoren.

Die Gruppe um Belmonte konstruierte zunächst einen AAV-Vektor, der die Expression einer Luciferase-Sonde (dgLuc) und des MPH-Komplexes übernahm. Um die Stärke der Genaktivierung messen zu können, konstruierte sie außerdem einen AAV-Reporter. In diesem befanden sich Luciferase- und ­mCherry-Sequenzen stromabwärts der ­dgLuc-Bindestelle.

Die AAV-Vektoren injizierten sie schließlich in die Muskulatur neugeborener Mäuse, die Cas9 exprimierten. Nach fünfzehn Tagen beobachteten sie eine signifikante ­Luciferase-Aktivität. Die Aktivierung der Luciferase funktionierte in allen untersuchten Geweben: Gehirn, Leber, Herz, Lunge, Nieren, Muskeln, Rückenmark und Magen).

Aktivierung funktioniert

Damit hatten Belmonte und Co gezeigt, dass das optimierte CRISPR/Cas9-TGA-System die Transkription eines Reportergens ­aktiviert. Jetzt wollten sie beweisen, dass dies auch mit einem endogenen Gen möglich war. Als Test-Gen wählten sie Fst. Dieses kodiert für Follistatin, dessen Überexpression die Muskelmasse steigert.

Die Injektion eines AAV-dgFst-MPH-Vektors führte in Cas9-exprimierenden Mäusen zu einem deutlichen Zuwachs der Muskelmasse und der Muskelkraft. Die Expression war gegenüber Kontrollmäusen um das 45-fache, 9-fache und 2,7-fache in Herz-, Leber- und Muskelgewebe erhöht. Der Einfluss auf das Muskelgewebe war noch zwölf Wochen nach der Injektion des Vektors nachweisbar.

Vergleichbare Ergebnisse erzielten die Forscher, wenn sie AAV-dgRNA-MPH zusammen mit einem Cas9-AAV-Virus (AAV-SpdCas9) in Wildtyp-Mäuse einschleusten. Demnach aktivierte auch das duale AAV-System die entsprechenden Zielgene. Damit war klar, dass sich das neue TGA-System auch für die Therapie eignete.

Die ersten Therapie-Kandidaten waren Mäuse, die als Modellsystem für akute Nierenverletzungen, Duchenne-Muskeldystrophie sowie Typ-1-Diabetes herhalten mussten. Die Gruppe richtete das TGA-System zunächst gegen Gene, die für die Proteine Klotho und Interleukin 10 (IL10) kodierten. Klotho wird bei akutem Nierenschaden herunterreguliert, das Genprodukt von IL10 ist ein entzündungshemmendes Cytokin, das unter anderem Schäden an der Niere durch eine Cisplatin-Behandlung vermindert. Tatsächlich aktivierte das TGA-System in den Mäusen die Expression der beiden Proteine in ausreichend hohen Konzentrationen, um die Nierenfunktion zu verbessern.

Die Behandlung wirkte zudem prophylaktisch: Mäuse, die nach der Injektion des TGA-Systems mit einer hohen Konzentration des Zytostatikums Cisplatin behandelt wurden, zeigten ebenfalls eine verbesserte Nierenfunktion und überlebten länger als die Kontrolltiere.

Das Team um Belmonte testete die neue Technik anschließend an Mäusen, die unter Muskeldystrophie litten. Die Muskeldystrophie des Typs Duchenne (DMD) ist die häufigste muskuläre Erbkrankheit im Kindesalter und verläuft tödlich. Ursache ist eine Mutation in dem Muskelstrukturprotein Dystrophin. Da das Dystrophin-Gen sehr groß ist, lässt es sich mit den herkömmlichen Vektoren für Gentherapien nicht in die betroffenen Zellen transportieren.

In den Muskelzellen von mdx-Mäusen (Mausmodell für DMD) wird Klotho zum Zeitpunkt des Krankheitsbeginns epigenetisch ausgeschaltet. Schleust man transgenes Klotho in die Mauszellen ein, werden die Krankheitssymptome zumindest gelindert. Dieses Prinzip funktionierte auch mit dem TGA-System der Amerikaner. Mit dem Vektor AAV-dgKlotho-MPH stellten sie die Klotho-Expression im Muskelgewebe von mdx-Mäusen wieder her. Hierdurch erhöhte sich nicht nur die Muskelmasse der Mäuse, auch die ­Muskelfunktion verbesserte sich.

Anschließend gingen Belmontes Mitarbeiter einen Schritt weiter und untersuchten, ob das neue TGA-System auch die Trans-Differenzierung von Zellen ermöglicht. Ihr Ziel war es, die Expression des Pankreas- und ­Duodenal-Homeobox-Gens 1 (Pdx1) in ­Leberzellen anzukurbeln. Hierdurch wollten sie in Mäusen, die an Typ I Diabetes litten, ­Insulin-sezernierende Zellen erzeugen. Pdx1 ist für die Entwicklung der Bauchspeicheldrüse notwendig und kann Hepatozyten in ­Beta-ähnliche, insulinproduzierende Zellen der Bauchspeicheldrüse umwandeln.

Zwei Tage nach der Injektion eines AAV-dgPdx1-MPH-Vektors wurden die Mäuse mit Streptozotocin behandelt. Die Substanz induzierte in den Mäusen eine Hyperglykämie und verursachte Typ I Diabetes. Tatsächlich hatten die mit dem TGA-System behandelten Mäuse niedrigere Blutzuckerwerte als die Kontrollen. Den Forschern war es also offensichtlich gelungen, mit dem TGA-System Leberzellen in insulinsekretierende ­Zellen umzuwandeln. Zudem wies die Gruppe mit Chromatin-Immunpräzipitations-Experimenten eine Zunahme von Histonmarkern auf Pdx1 nach. Das TGA-System aktivierte demzufolge ein im Zielorgan normalerweise stillgelegtes Gen über die epigenetische Ummodellierung der Histonmarker.

Theoretisch könnte man das neue CRISPR/Cas9-Aktivierungssystem also auch für die Behandlung von Krankheiten einsetzen. Bis dahin ist es aber noch ein weiter Weg. Als Werkzeug für die biomedizinische Forschung ist es aber schon heute äußerst interessant.






Letzte Änderungen: 03.03.2018