Editorial

Anti-Zen oder
Die Kunst, ein Agarosegel zu fahren

von Cornel Mülhardt


Cornel Mülhardt, Autor des Methodenknüllers Der Experimentator - Molekularbiologie“, philosophiert wieder über den Alltag des Forschers. Tiefe Erkenntnisse über Werden und Vergehen, die Dialektik von Eile und Geduld und den Widerspruch zwischen Erkenntnis- und Partnersuche werden vorgelegt. Falls Sie über noch tiefere Einsichten verfügen - seien es solche der Dialektik oder des Agarosegels - schreiben Sie uns einen kurzen Kommentar. Er wird in der nächsten Ausgabe gedruckt. Ohne Gutachterärger! Eine einmalige Gelegenheit Ihre Publikationsliste zu verlängern.

Nur die Ruhe bringt’s bekanntlich. Denkste. Ein Beispiel: Es ist Donnerstag, der Feierabend naht und man ist zum Kino verabredet. Im Heizblock ruhen die Verdaus einiger wichtiger Klone, an denen man seit Tagen herumlaboriert. Dies unter ständig wachsendem Druck, denn immerhin hängt daran das Schicksal des ganzen Projekts. Man könnte sich nun entspannt auf den Abend freuen, geistig die Umschaltung auf Wein, Weib und Gesang einleiten und den Arbeitsplatz ausfegen - wenn man in der institutseigenen Werkstatt arbeitet. Wer aber vom wissenschaftlichen Geist durchdrungen ist, der muss an dieser Stelle einen Zahn zulegen, denn fände man den richtigen Klon, könnte man noch schnell eine Maxikultur ansetzen und einen ganzen Tag gewinnen. Also noch ruckzuck ein Agarosegel gefahren!

Die Preisfrage lautet allerdings: Was ist ruckzuck? Wie lange braucht so ein Agarosegel? Lösen der Agarose, Gießen des Gels, Gelierzeit, Elektrophorese, Färbung und Dokumentation können in der längsten Version durchaus zweieinhalb Stunden in Anspruch nehmen. Zweieinhalb Stunden! Geht das nicht schneller? Es geht.


Lösen der Agarose

Um die Agarose zu lösen, muss man sie aufkochen. Gibt es noch irgendjemanden, der dies mit einem Bunsenbrenner erledigt? Lasst es sein. Sofern Mikrowellengeräte irgendeine Existenzberechtigung in dieser Welt haben, dann ist es das Erhitzen von Agarose. Geht schnell und sauber. Eine Minute volle Power je 100 ml Flüssigkeit und dann solange weitermachen, bis die Chose gerade NICHT überkocht. Ja, Agarose kocht sehr leicht über und produziert eine Riesensauerei.


Abkühlen der Agarose

Wer Zeit hat, kann der Natur freien Lauf lassen. Der Eilige wird den Prozess beschleunigen. Die Flasche unter den geöffneten Wasserhahn zu stellen, ist beliebt, aber unsinnig, weil die verbrauchte Wassermenge enorm ist und entgegen der weit verbreiteten Meinung aus den allermeisten Laborhähnen durchaus Trinkwasser fließt. Stellen Sie die Flasche lieber in einen Eimer oder Eiskübel. Apropos Eis, damit kühlt sich’s natürlich am schnellsten, Eiskühlen setzt allerdings voraus, dass man die Agarose permanent gut mischt, weil Agarose ab ca. 40 °C an der Flaschenwand zu gelieren beginnt.

Ich habe mir sagen lassen, dass an (einigen?) TA-Schulen gelehrt wird, die Agarose vor dem Gießen in einem 50 °C-Wasserbad zu akklimatisieren. Liebe TAs, nehmt Abstand von diesem Tun, wenn ihr euren Chef nicht explizit in den Wahnsinn treiben wollt. Agarose lässt sich bei jeder Temperatur gießen, angefangen bei 99°C (worunter allerdings die Gelschlitten enorm leiden) bis hinunter zum Gelierpunkt. Hat man das Gel gegossen, kann man das Gelieren beschleunigen, indem man es in den Kühlschrank stellt - sofern man die Agarose zuvor ausreichend abgekühlt hat, sonst verwandelt man den Kühlschrank in eine Nebelkammer mit vereister Rückwand. Noch schneller geht’s im Gefrierschrank, wobei allerdings drei Probleme auftreten:
a. man findet im Gefrierschrank kaum ebene Flächen, was man dem Gel dann deutlich ansieht;
b. man riskiert das Gel zu vergessen, woraufhin die Agarose gefriert und unbrauchbar wird; und
c. das Vereisungsproblem ist noch viel größer.

Wer häufig vor dem Problem steht, schnell noch ein Gel fahren zu müssen, sollte sich Gele auf Vorrat gießen. Agarosegele halten sich im Kühlschrank ewig, sofern sie feucht gehalten werden. Im Einzelfall reicht es aus, das Gel in Frischhaltefolie einzupacken, sonst sollte man sich eine Plastikbox zulegen, die man mit etwas Elektrophoresepuffer füllt (ein Pegel von 1 cm sollte ausreichen). Wer kann, sollte die Gele mitsamt dem Gelschlitten aufbewahren, weil die Taschen bei unvorsichtiger Handhabung zum Einreißen neigen; meist bemerkt man diesen Umstand erst, wenn man seine DNA lädt und der Blaumarker sich unter dem Gel auszubreiten beginnt. Eine Alternative ist das Blechkuchenprinzip: Man gießt morgens ein sehr großes Gel, aus dem man sich im Laufe des Tages jeweils die benötigten Stücke herausschneidet.


Elektrophorese

Die richtige Spannung ans Gel zu legen ist ein Kunststück. Weil jede Gelapparatur anders gebaut ist, findet man in der Fachliteratur Richtwerte von 0,5-10 V/cm Elektrodenabstand, je nach Elektrophoresepuffer, Fragmentgröße und Agarosekonzentration. In der Praxis helfen diese Werte nur mäßig. Wir führten früher im Labor lustige Wettbewerbe durch, wer sein Gel bei der höchsten Spannung fährt. Ein nützlicher Nebeneffekt war die Erkenntnis, dass die Gele zuerst am oberen Ende zu schmelzen beginnen, was einem genügend Zeit gibt, die Spannung wieder runterzudrehen. Ich kann jedem unter Zeitdruck stehenden Forscher nur empfehlen, die Grenzen seiner Apparatur spielerisch zu ergründen, in Momenten höchster Zeitnot kann dieses Wissen sehr nützlich sein. Man sollte allerdings wissen, dass die Auflösung großer Banden (ab ca. 5 kb) darunter leidet. Wer große Mengen großer Fragmente trennen möchte, muss den entgegengesetzen Weg beschreiten. Er elektrophoretiert besser bei niedriger Spannung über Nacht (auch hier empfehlen sich einige spielerische Probeläufe vor dem Ernstfall).




Färbung

Die klassische Methode besteht darin, das Agarosegel nach dem Lauf in Elektrophoresepuffer mit 0,5µg Ethidiumbromid (EtBr)/ml zu färben. Diese Vorgehensweise hat ihre Vorteile, kostet allerdings viel Zeit (20-30 min für die Färbung und eventuell weitere 20-30 min für’s Entfärben in Wasser, um den Kontrast zu verbessern) und ist erfahrungsgemäß eine Riesensauerei, weil die sympathischen Kollegen mit den ethidiumbromidtropfenden Gelen quer durchs Labor pilgern. Wer Spaß haben will, sollte sich mit einer UV-Lampe bewaffnen und einem solchen Labor abends einen Besuch abstatten, die Reaktionen der um ihre Gesundheit besorgteren Kollegen sind sehr amüsant.

Schneller geht’s, wenn man das EtBr beim Gießen des Gels direkt in die Agarose gibt; der Maniatis empfiehlt auch hier 0,5 µg/ml, ein Fünftel dieser Menge tut’s aber genauso. Entgegen einer verbreiteten Meinung ist EtBr zwar UV-empfindlich, aber durchaus hitzestabil, man kann daher problemlos größere Mengen Agarose ansetzen und die Reste später wieder erhitzen, ohne dass das EtBr darunter leidet. Der Vorteil ist, dass man das Gel zu jedem beliebigen Zeitpunkt herausnehmen, anschauen und weiterlaufen lassen kann, der Nachteil, dass das Ethidium entgegengesetzt zur DNA läuft. Irgendwo in der Mitte des Gels kreuzen sich dann EtBr-Front und die kleinsten DNA-Fragmente, und ab diesem Moment entfärbt sich die DNA wieder und verblasst. Wer lange Laufstrecken benötigt, muss daher in vielen Fällen zum Färbebad greifen, oder er gibt zusätzlich EtBr in den Elektrophoresepuffer - ebenfalls eine Riesensauerei.




Summa

Optimiert man alle Punkte, kann man die Zeit für ein Agarosegel im Ernstfall auf bis zu 20 min drücken, kurz genug, um noch die Maxikultur zu starten und rechtzeitig zum Kino zu kommen. Vielleicht klappt’s dann auch mit der Nachbarin. Für die sollte man sich allerdings etwas mehr Zeit nehmen.




Letzte Änderungen: 08.09.2004