Editorial

Die RNase, dein Feind und Helfer

von CORNEL MÜLHARDT



Guten Tag, lieber Leser, willkommen bei der zwanzigsten Folge unserer Serie. Ein kleines Jubiläum sozusagen, und für mich ein mittelgroßes Wunder, dass ich und Sie so lange durchgehalten haben.

Lassen Sie mich raten. Bestimmt haben Sie diese Seite aufgeschlagen, das Logo wiedererkannt (das in der letzten Folge frevelhafterweise fehlte), konsterniert festgestellt, dass Sie offensichtlich schon wieder fast am Ende des Laborjournals angelangt sind, kurz geschaut, ob sich auf den folgenden Seiten nicht noch etwas Interessanteres findet - und sind dann doch bei diesem Artikel hängen geblieben, weil Sie sich plötzlich fragten, mit welchem Unsinn der wohl diesmal wieder seinen Artikel beginnt.

Nun, heute habe ich eine traurige Nachricht für Sie: die Mädels von meinem Nachbarn sind weg! Nie wieder schräges Geblöke im Abendrot, glühende Augen im Taschenlampenlicht, Rascheln hinter der Thujenhecke - ich fürchte, meine Golden Girls sind zu Kotelets verarbeitet worden. Zwei Dinge stören mich daran erheblich: Erstens haben meine Langzeitstudien damit ein abruptes Ende gefunden, mit denen ich nachweisen wollte, wie wenig das Schaf doch vom Menschen unterscheidet (oder den Menschen vom Schaf, um es unfreundlicher auszudrücken), und zweitens wissen die beste meiner Ehefrauen und ich nun nicht mehr, wohin mit dem alten Brot - Schafe sind absolut verrückt auf trocken’ Brot! Naja, es war einmal.


Zerbrechliche Existenzen

Die Geschichte mit den Mädels zeigt uns, wie zerbrechlich so eine Existenz ist. Wahrscheinlich gibt es nur eines, was zerbrechlicher ist als die Existenz von Schafen: das ist die von RNA. Zumindest in meinen Händen. Gehören Sie nicht auch zu denen, die viel lieber mit DNA arbeiten? DNA ist halt ein Teufelszeug, man kann damit anstellen, was man will, sie überlebt alles. Dinosaurier und Tut Ench Amun lassen sich daraus rekonstruieren (hab’ ich im Kino gesehen) und demnächst werden wir sicherlich auch erfahren, wer die nächsten noch lebenden Verwandten von Ötzi sind. Versuchen Sie das mal mit RNA.

Sind Sie schon mal auf die blöde Idee gekommen, menschliche RNA isolieren zu wollen? Für Immunologen mag das ja noch angehen, die können sich den Saft zur Not selbst abzapfen, Neurobiologen haben es da schon schwerer. Dreimal dürfen Sie raten, wie groß die Chancen sind, dass Ihnen während Ihrer Doktorarbeit ein frisches Stückelchen Hirn in die Hände fällt, nicht älter als zwei bis vier Stunden post mortem bitteschön. Da helfen die besten Kontakte zur Pathologie nichts, Sezierleichen sind im besten aller Fälle ein bis anderthalb Tage alt! Was die interessante Frage aufwirft, woher die RNA kommt, die in den Katalogen angeboten wird; Sie wissen schon, human brain, hippocampus, pooled from 2-4 caucasian men“. In Südostasien sollen ja immer wieder Touristen verschwinden, heißt es!

Dabei bestätigen alle, die regelmäßig mit RNA arbeiten, dass der Umgang genauso unproblematisch sei wie der mit DNA. Und diejenigen, die nicht regelmäßig damit arbeiten, mögen es ihnen für gewöhnlich gar nicht glauben. Dabei ist es so einleuchtend: Wieso soll eine einzige Hydroxylgruppe mehr an einer hundsgewöhnlichen Ribose aus einem superstabilen ein superinstabiles Molekül machen? Tut’s auch nicht. Es ist ja nicht so, dass Ihnen die RNA von alleine zwischen den Fingern zerbröselt. Ihre Finger haben daran einen gehörigen Anteil. Mein Vorschlag: Hören Sie einfach auf, RNasen zu sekretieren. Stellen Sie das Schwitzen ein! Oder lernen Sie wenigstens, nicht mehr wie die Wutz zu arbeiten.


Ist der Teufel eine RNA?

Wieso sich Mutter Natur mit RNasen umgibt, als sei der Teufel eine RNA, habe ich nie verstanden. Ist die Welt da draußen wirklich voller RNA-Viren? Muss sie wohl sein, warum sonst sind RNasen so stabil? Und stabil sind die! Wissen Sie, wie man aus einem Gläschen schmutzigem RNase A-Pulver lupenreine DNase-freie RNase-Lösung macht? Man löst das Pulver in Tris-Puffer auf und kocht die Lösung für zwanzig Minuten. Selbst Hartweizengrießnudeln überleben das nicht. Wahren Forschergeist zeigt allerdings, wer sich von solchen Tatsachen nicht beeindrucken läßt. Oder wären Sie auf die Idee gekommen, angesichts dieser Befunde der RNase A zu unterstellen, sie habe eine labile Region, die es zu stabilisieren gilt? Anders Younus et al., die mit ihrem Paper Stabilization of pancreatic ribonuclease A by immobilization on Sepharose-linked antibodies that recognize the labile region of the enzyme“ Wissenschaftsgeschichte geschrieben haben dürften (Biochim. Biophys. Acta (2001) 1548,114-120). Die Damen und Herren stammen aus Indien, was die Frage aufwirft, ob wir nicht tatsächlich lieber Kinder machen sollten, um die Zukunft unserer Forschung zu sichern.

Verdienste um die Wissenschaft haben sich auch unsere spanischen Kollegen erworben, die untersuchten, ob man RNase A besser kocht, unter Druck setzt oder vielleicht gar im Drucktopf kocht (Torrent et al. (2001) Protein Sci. 10, 725-734). Für den Praktiker ist an diesem Paper der Hinweis interessant, dass das süße kleine Enzym wohl nicht in erster Linie thermostabil ist, sondern nur die sakrische Fähigkeit besitzt, sich von alleine wieder in seine ursprüngliche Konformation zurückzufalten. Der Traum eines jeden Proteinbiochemikers. Was erklärt - und ich war ganz erstaunt, zu sehen, wie sich hier wieder mal ein Kreis schließt -, weshalb der gute alte Maniatis“ empfiehlt, die RNase-Lösung nach dem Kochen langsam auf Raumtemperatur abkühlen zu lassen. A propos Maniatis“: Ich wollt’s kaum glauben, aber DER Klassiker der Laborhandbücher - und lange Zeit auch das antiquarischste, das im Buchhandel erhältlich war - ist neu aufgelegt worden! Nur heißt es jetzt nicht mehr Maniatis“. Non c’é piu religione, wie der Italiener sagt.


Mit Schnaps geht’s besser

Aktiiiiv ist so eine RNase, da tränen einem die Augen - wenn man mit RNA arbeitet. Für DNA-Arbeiter dagegen ist es ein kleines Wunder. Sind Sie bei Ihrer Plasmid-Maxipräp nie ins Grübeln gekommen, wieso Sie nach der Alkalischen Lyse den gesamten Ansatz für ein Viertelstündchen auf Eis stehen lassen sollen? Gut, ja, um die RNA zu verdauen. Mit einer RNase, die Sie in Lösung I zugegeben haben, die anschließend mit Seife und Lauge behandelt wurde und danach in einmolarer Kaliumacetat-Lösung bei null Grad noch ihren Dienst verrichten soll? Versuchen Sie das mal mit einem Restriktionsenzym! Die RNase aber funktioniert noch prächtig. Das merken Sie spätestens dann, wenn Sie einmal vergessen sollten, die RNase zuzugeben und miserable DNA-Ausbeuten erhalten. Anionenaustauschersäulen binden nämlich große RNAs ähnlich effizient wie DNA, kurze RNAs dagegen wesentlich schlechter. Da ein Bakterienlysat ca. 90% RNA und höchstens 10% Plasmid-DNA enthält, können Sie sich vorstellen, was passiert, wenn Sie vergessen, die RNA kleinzuhäckseln: die sättigt Ihnen Bindungsstellen ab und ein Großteil der DNA, die Sie reinigen wollten, rauscht Ihnen durch die Säule.

Man kann das noch weiter treiben. Ich habe kürzlich spaßeshalber ein kleines Experiment auf die Beine gestellt: Bakterienkultur zentrifugiert, Alkalische Lyse (incl. RNase-Verdau) durchgeführt, die eine Hälfte des Ansatzes mit Alkohol gefällt und in einer Lösung mit chaotropem Salz gelöst, und anschließend beide Hälften getrennt voneinander mit einem handelsüblichen Plasmid-DNA-Minipräp-Kit gereinigt. Die DNA-Ausbeute war im EtOH-gefällten Ansatz fast doppelt so hoch wie im normalen Ansatz. Die Erklärung für das Phänomen dürfte sein, dass die RNase die vorhandene RNA in kleine Schnipsel zerlegt, die sich nur schlecht fällen lassen, auf diese Weise erhöht man den DNA-Anteil in seiner Lösung. Man kann das noch auf die Spitze treiben, indem man mit 50 ml Kultur arbeitet. Auf diese Weise hole ich aus einem Minipräp-Säulchen regelmäßig 50 µg Plasmid-DNA statt der üblichen 5 µg, bei nur wenig größerem Arbeitsaufwand!

Genug der Worte, ich muss jetzt nach einem Rezept für Armer Ritter suchen - oder wissen Sie wohin mit dem alten Brot? In tiefer Trauer, Ihr cornel.muelhardt@web.de




Letzte Änderungen: 08.09.2004