Editorial

Von nackter Angst getrieben...

von Cornel Mülhardt


Es steht schlecht um die Experimentatoren. Cornel Mülhardts Band Der Experimentator Molekularbiologie“ ist vergriffen, von Hubert Rehms Experimentator Proteinbiochemie“ fristen nur noch einige dutzend Exemplare ein scheues Dasein in den Regalen ausgewählter Buchhandlungen. Rennt, Leute, rennt! Rennt und kauft - oder lasst’s bleiben. Es gibt ja noch Laborjournal. Hier werden die Experimentator-Autoren auch weiterhin dem Forscher im harten Laboralltag beistehen. Heute bei der Reinigung von Plasmid-DNA. Cornel Mülhardt wärmt Cäsiumchloridgradienten auf und untersucht den Voodoo-Faktor von Anionenaustauschern - vor allem aber tröstet er die Trostlosen und richtet die Verzweifelnden wieder auf.

Was in der letzten Folge geschah: Der im ganzen Land als unvoreingenommen und unparteiisch bekannte Autor sang ein Hohelied auf die Alkalische Lyse, bis ihm der Hunger die Stimme verschlug. Die Frage, was man mit der (Baki-)Suppe macht, ließ er offen. Treue Leser, die ihr Lysat seit einem Monat aufbewahren, erfahren nun, was sie vor einem Monat damit hätten tun können.


Da war ein Mann noch ein Mann!

Liebe Lesergemeinde! Weiß noch irgendjemand da draußen, was ein Cäsiumchloridgradient ist? Damals, in grauer Vorzeit, als man Restriktionsenzyme noch höchstpersönlich und von Hand aufreinigte - und deswegen in einem Prozess natürlicher Selektion all diejenigen erschlagen wurden, die für einen Verdau mehr als die wirklich benötigte Menge an Enzym einsetzten - in grauer Vorzeit also, da war die Präparation plasmidischer DNA noch eine heroische Angelegenheit, die einen zwei Tage in Atem hielt. Es waren die goldenen Zeiten der Molekularbiologie, als ein Mann noch ein Mann war, und ein Laborfutzi noch ein Laborfutzi - und für letzteren gab es sogar Dauerstellen. Lange ist’s her. In dieser Zeit war der Cäsiumchloridgradient das Mittel der Wahl, um aus dem wilden Gemisch, das nach dem Zerlegen der Bakterien übrigblieb, saubere Plasmid-DNA zu extrahieren.

Das lief ungefähr so ab: DNA fällen und in kleinem Volumen resuspendieren, mit einer gesättigten CsCl-Lösung mischen, tonnenweise Ethidiumbromid zugeben und über Nacht bei 60.000 Umdrehungen zentrifugieren. Am nächsten Tag hatte man eine herrliche fette Bande mit supersauberer supercoiled Plasmid-DNA. So weit die technische Beschreibung.

In der Praxis bestand die Prozedur hauptsächlich aus Fluchen und Schwitzen. Abgesehen von den üblichen Unannehmlichkeiten, die einem auch mit anderen Methoden jeden Tag passieren (Hat jemand das Cäsiumchlorid gesehen?“), gab es eine Reihe Hindernisse, die die Plasmidreinigung zu einer der meistgehassten Methoden machten. Beispielsweise benötigte man ganz spezielle Zentrifugenröhrchen mit einer ganz kleinen Öffnung, die nur mit Hilfe einer Kanüle zu überwinden war. Meistens bildeten sich trotz aller Sorgfalt Bläschen an der Öffnung, die irgendwann zerplatzen und eine Wolke kleinster ethidiumbromidschwangerer Tröpfchen in der Umgebung und auf dem Laborfutzi verteilten. Anschließend mussten die Röhrchen verschweißt werden. Abgesehen davon, dass es pro Institut meist nur ein Schweißgerät gab und die Spezialkäppchen ständig verloren gingen, war der wirklich schweißtreibende Moment der fünfsekündige Versiegelungsprozess. Nicht etwa wegen der Temperaturen, es war das Handwerkliche, das einen zur Verzweiflung trieb. Nicht zu lange drücken, nicht zu kurz, nicht zu stark und nicht zu schwach durfte es sein, sonst war die Chose unter Garantie undicht. Können Sie sich vorstellen, wie ein undichtes Zentrifugenröhrchen nach 16 Stunden Ultrazentrifugation aussieht? Von nackter Angst getrieben, schweißte, schwitzte und fluchte man kurz vor Feierabend vor sich hin, und in den Momenten höchster Not war weit und breit keine Menschenseele, die einem hätte weiterhelfen können. Am nächsten Tag galt es dann, die Bande der Begierde abzuzapfen und aufzureinigen. Aber welche Bande war die richtige? Hätte diese tolle fette Bande nicht viel weiter oben sitzen müssen? Und: Wie zapfe ich die Bande ab, ohne Tonnen von Ethidiumbromid über den gesamten Arbeitsplatz zu verteilen, noch dazu im Dunkeln und unter UV-Bestrahlung?


Wagemutige Adepten

Einige wagemutige Adepten hatte die Methode indes durchaus. Die erledigten diese Arbeit mit wahrer Freude und hielten lange an dieser Präparation fest - eine kleine nicht repräsentative Umfrage hat allerdings zu dem Ergebnis geführt, dass niemand sich an irgendjemanden erinnern konnte, der in den letzten drei Jahren noch damit gearbeitet hätte. Dabei hatte der Cäsiumchloridgradient durchaus seine Vorzüge. Man sah beispielsweise an der Dimension der Bande sofort den Erfolg der vorhergehenden Bemühungen, ein seltener Luxus in den Zeiten der Miniaturisierung. Außerdem sammelte sich der ganze ungeliebte Schmutz - hauptsächlich RNA und Proteine - unten am Röhrchenboden, und nichts überzeugt mehr davon, wirklich saubere DNA in den Händen zu halten, als wenn man den Dreck, den man losgeworden ist, mit eigenen Augen sieht. Und schließlich ist es bis heute die einzige Methode, mit der man gezielt supercoiled DNA aufreinigen kann.

Die Einführung der Anionenaustauschersäulen allerdings hat dem Cäsiumchloridgradienten das Genick gebrochen. Als ich vor einigen Jahren noch einmal einen Versuch wagen wollte, scheiterte ich jämmerlich: Weder gelang es mir, eine funktionierende Ultrazentrifuge noch passende Röhrchen zu finden, vom Schweißgerät ganz zu schweigen. Die Einzigen, denen ich nicht wortreich erklären musste, was ich vorhatte, waren die Laborleiter, die allerdings nicht einmal einen Überblick darüber hatten, wo sich ihre Mitarbeiter aufhielten. Tempora mutantur (oder T. mutans wie der Molekularbiologe sagen würde...).




Säulen mit Voodoo-Faktor

Der langen Rede kurzer Sinn: Plasmid-DNA wird heute über Säulchen gereinigt. Jeder kennt sie und auch ihre Hersteller. Gemeinsam ist ihnen - den Säulchen - dass sie alle funktionieren, und sie jeweils viel bessere Ergebnisse liefern als die Ware der Konkurrenz. Ich für meinen Teil würde aufgrund langjähriger Beobachtung Anionenaustauschersäulen mit dem höchstmöglichen Voodoo-Faktor, nämlich 100, versehen. Gehen Sie in ein Molekularbiologielabor ihrer Wahl und schauen Sie sich um. Arbeiten dort mehr als zwei Leute, und handelt es sich bei diesen Leuten nicht um Technische Assistenten, dann werden Sie höchstwahrscheinlich Säulchen von zwei bis drei verschiedenen Herstellern vorfinden. Das kommt so: Freddy Frischwärts macht DNA mit Säulchen der Firma X. Am Ende der Prozedur stellt er fest, dass seine Bemühungen vergeblich waren, er ärgert sich rechtschaffen und fragt seine Kollegen, was er tun soll. Die raten ihm, die Säulchen des Herstellers Y zu verwenden, die würden immer und wunderbar funktionieren, und weil man sich gerne gegenseitig hilft, bekommt er gleich ein paar davon in die Hände gedrückt. Er wiederholt die Präparation und findet sich mit Tonnen von DNA wieder. Klarer Fall: X ist Mist, Y ist super. Freddy bestellt flugs eine Super- megafamilienriesenpackung und freut sich, eines seiner größten Probleme ein für alle Mal gelöst zu haben. Hubert Hurtig, viele hundert Kilometer entfernt, macht zur gleichen Zeit genau die umgekehrte Erfahrung: Klarer Fall, Y ist Mist, X ist super. Auch er bestellt eine Supermegafamilienriesenpackung und ist glücklich. Eines Tages verschlägt es Freddy und Hubert in das gleiche Labor und es kommt zum Glaubenskrieg. Freddy bestellt auch weiterhin Y, Hubert bestellt X, beide diffamieren sich gegenseitig und die Regalbretter ächzen unter der Last der doppelten Kits. Keiner von beiden hat sich je die Zeit genommen, die wahre Ursache des Problems zu ergründen. Das ist Molekularbiologie pur.

Tatsächlich sollte man seinen Glauben an Kits auf ein vernünftiges Maß reduzieren. Sie erleichtern einem das Leben, kosten daher auch eine Summe, die ungefähr proportional zur Arbeitserleichterung ist, garantieren aber leider keinen Erfolg. Ich hatte eine Zeit lang größte Probleme mit DNA-Präps, weil der werksseitig mitgelieferte Waschpuffer die DNA mit hoher Effizienz vorzeitig von der Säule eluierte. Bei einem anderen Hersteller konnte ich mehrfach verfolgen, wie die großen Mengen an DNA, die nachweislich im Lysat noch vorhanden waren, sich auf dem Weg über die Säule in Luft auflösten.

Das soll niemanden schrecken. Ich erkläre ausdrücklich, dass Anionenaustauscher das Mittel der Wahl zur Aufreinigung großer Mengen an DNA sind. Nur haben sie halt ihre Tücken. In der nächsten Ausgabe beschäftigen wir uns mit der Frage, was man beim Umgang mit Säulchen beachten muss und welche Alternativen existieren.




Letzte Änderungen: 08.09.2004