Editorial

Mehr als nur Bäumchen zeichnen

Zitationsvergleich 1997 bis 1999: Evolutionsbiologie
von Ralf Neumann, Laborjournal 5/2002


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Nur wenn man enge Grenzen zieht, lassen sich Evolutionsbiologen sinnvoll vergleichen.

Da hat jemand ein Gen im Verdacht, die Experimente klappen und er bekommt tatsächlich eine interessante Funktion heraus. Zum Glück sind Datenbanken und Programme zur Sequenzanalyse ja auch keine Hexerei mehr. Was liegt also näher, als noch nach Homologien in diversen anderen Genomen zu suchen und ein kleines Stammbäumchen zeichnen zu lassen. Das bringt noch ein wenig mehr Substanz ins Paper - und da Evolution sich immer gut macht, nimmt er sie auch noch gleich mit in die "Keywords".

Ist so jemand "Evolutionsbiologe"? Sicher nicht. Wo aber ist die Grenze für diese Disziplin, die letztlich wie ein Schirm die gesamte Biologie überspannt? Wir haben sie für unseren Pubikationsvergleich sehr eng gezogen und zuvorderst nur Forscher akzeptiert, in deren Projekten evolutionsbiologische Fragestellungen ganz oben stehen - und dann erst einmal lange gar nichts kommt.

Herausgefallen sind damit etwa Forscher wie der Bioinformatiker Peer Bork, der viele gut zitierte Paper über Functional Genomics zeichnet, dazwischen aber auch immer welche mit Titeln wie "Genome phylogeny based on gene content".

Oder wie der Mainzer Molekularbiologe Werner E.G. Müller, der neben Prionenerkrankungen vor allem marine Schwämme auf ihren biomedizinischen Nutzen hin untersuchcht - und dabei natürlich auch einiges über deren Evoultion zu Tage fördert. Oder die zahlreichen Mikrobiologen, die teilweise aufgrund ökologischer Fragestellungen immer neue Arten identifizieren - und diese sogleich in evolutionäre Stammbäume einbauen müssen.

Ein strenges Raster, zugegeben. Aber sicherlich eines, dass den "echten Evolutionsbiologen" deutlich gerechter wird. Denn mit einer "weicheren" Regelung würden diese rettungslos von "Auch-Evolutionsbiologen" mit deren oftmals viel zitierten biomedizinischen, Genomics- oder sonstigen Papern überflügelt. Und das kann wohl nicht Sinn der Sache sein.

Warum dann aber Walter Gehring auf Platz 4 der meistzitierten Evolutionsbiologen, könnte man jetzt einwenden. Der ist doch Entwicklungsbiologe. Stimmt schon, aber gerade aus der Entwicklungsbiologie wehte in den letzten Jahren ein kräftiger Wind hinüber zur Evolutionsbiologie. Und in Walter Gehrings Basler Labor fingen die Turbulenzen an. In seiner Entdeckung, dass die Homeobox-Sequenz in zahlreichen wichtigen Genen der Embryonalentwicklung hoch konserviert über nahezu das gesamte Tierreich vorkommt, sehen viele den Startschuss für ein in den letzten Jahren sehr erfolgreiches Konzept der Evolutionsbiologie: Die Evolution entwicklungsbiologischer Prozesse, oder kurz "Evo-Devo".


Hypothesen und Modellierungen

Auch Gehring selbst erkannte die Bedeutung dieser Tatsachen für die Evolutionsbiologie, weswegen man ihn heute auch getrost als solchen bezeichnen kann. In diesem Zusammenhang ist es auch kein Zufall, dass die beiden meistzitierten evolutionsbiologischen Reviews der Jahre 1997 bis 99 von Gehring und Kollegen verfasst wurden. Ebenfalls kein Wunder ist daher, dass weitere "Evo-Devo"-Forscher die Top 50 bevölkern: Diethard Tautz etwa auf Platz 5, Gehrings langjährige Mitarbeiter Georg Halder und Patrick Callaerts auf den Plätzen 8 und 16, oder Jochen Wittbrodt vom Heidelberger EMBL auf Platz 22.

So erfolgreich die "Evo-Devos" indes gerade sein mögen, auf das berühmte Treppchen kamen andere. Wobei kaum wundert, dass Svante Pääbo und Mark Stoneking, Direktor und Gruppenleiter in der Abteilung "Evolutionäre Genetik" des Leipziger MPIs für evolutionäre Anthropologie, in dieser Reihenfolge die ersten beiden Plätze belegen. Beide zeichneten 1997 einen Cell-Artikel mit der Bestimmung von DNA-Sequenzen aus Neanderthaler-Knochen als Seniorautoren - ein Paper, das damals quer durch die weltweiten Medien ging und bis heute das mit Abstand meistzitierte evolutionsbiologische Paper mit Erscheinungsjahr 97-99 aus deutschsprachigen Landen ist.

Der Dritte im "Treppchen-Bunde" ist William Martin, seit 2000 am Botanischen Institut Düsseldorf, davor am Genetischen Institut der TU Braunschweig. Ihm geht es vor allem um Zellevolution - genauer gesagt, um Ursprung und Evolution der Eukaryotenzelle. Und da hat er vor allem 1998 mit einem "Hypothesis"-Paper in Nature viel Aufmerksamkeit erregt. Mit seinem Ko-Autor Miklos Müller stellt er darin die so genannte "Wasserstoff-Hypothese" für den ersten Eukaryoten auf. Die darin formulierte Idee: Womöglich hätten einstmals Wasserstoff-benötigende Archaebakterien sich Wasserstoff-produzierende Eubakterien einverleibt und nach und nach zum Mitochondrium reduziert. Eine Hypothese, die Martin das am zweithäufigsten zitierte Paper der Jahre 97 bis 99 einbrachte, sowie Platz 3 bei den "Köpfen".

Überhaupt fällt der verhältnismäßig hohe Anteil an hypothetisierenden oder mathematisch-theoretischen Artikeln unter den zehn meistzitierten Papern auf. Mehr als die Hälfte zählt in diese Kategorie. Damit einher geht das gute Abschneiden einzelner Mathematiker oder Bioinformatiker, die ihre Arbeit hauptsächlich Fragen der Evolution gewidmet haben: Der Hamburger Hans-Jürgen Bandelt auf Platz 6, Yves van de Peer auf 10, Arndt von Haeseler auf 11 und Martijn Huynen auf 12 dokumentieren dies etwa.


Junge Leute

Und ganz zum Schluss sollte noch etwas auffallen, vor allem wenn man über die Portraits auf der nächsten Doppelseite schaut: Abgesehen von Walter Gehring oder dem Tübinger Jan Klein (7) scheint die deutschsprachige Evolutionsbiologie von verhältnismäßig jungen Forschern dominiert. Das sollte doch ein gutes Zeichen für diese wichtige Disziplin sein.


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Letzte Änderungen: 08.09.2004