Editorial

Die Lehre vom Leben

Publikationsanalyse 2007-2010: Physiologie
von Lara Winckler, Laborjournal 10/2013


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Foto: Maksim Bukovski/Fotolia

Neuro- und Kardiophysiologen liefern sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen, Berlin und Frankfurt sind die stärksten Städte.

Wenn Sie schon immer wissen wollten, was Astronomen und Physiologen gemeinsam haben – es gibt eine Erklärung: Jean François Fernel, ein französischer Arzt und Astronom, kannte sich nicht nur mit Körperfunktionen aus und verhalf so Heinrich II. und seiner Gattin Katharina de Medici zu einem Thronerben, er prägte zu Beginn der Neuzeit auch den Begriff Physiologie, maß Bauch- und Erdumfänge und starrte des Nachts in die Sterne. 1935 benannte man endlich einen Mondkrater nach ihm Fernelius. Das könnte erklären, warum in den Physiologie-Listen von Web of Science immer wieder Astronomie-Artikel auftauchen.

Auch heute noch beschäftigen sich die Physiologen mit den Vorgängen in Zellen, Geweben und Organen – in erster Linie den physikalischen und biochemischen; auf den Blick ins All verzichten jedoch die meisten. Apropos All: Die Physiologie mag auf den ersten Blick wie eine allumfassende Disziplin erscheinen, und in gewisser Weise ist sie das auch: Im Prinzip betreibt fast jeder Lebenswissenschaftler dann und wann – bewusst oder unbewusst – physiologische Forschung. Damit diese Publika­tionsanalyse nicht über die Ufer tritt und am Ende tatsächlich den größten Teil der Life Sciencler mütterlich umarmt, schränkten wir die Auswahl der Forscher ein: Betrachtet werden Wissenschaftler, die ihr Publikum v.a. in der Leserschaft physiologischer Fachzeitschriften suchen, sowie jene, die zwischen 2007 und 2010 zumindest zeitweise an einem Physiologie-Institut im deutschen Sprachraum arbeiteten. Nicht dabei sind die Pflanzenphysiologen; sie dürfen sich im Vergleich „Pflanzenforschung“ der Herausforderung stellen.

Gleichstand

In der Liste der meistzitierten Physiologen schälen sich demnach drei Hauptbetätigungsfelder heraus: die kardiovaskuläre und die Nierenphysiologie, die zusammen die vegetative Physiologie repräsentieren, sowie die Neurophysiologie. Für Letztere galt jahrelang, was auch für neurobiologische Forschungsthemen in anderen Disziplinen richtig war: sie lassen die Vegetativen zahlen- wie zitierungsmäßig weit hinter sich.

Im diesmal betrachteten Zeitraum jedoch nähern sich die drei „Reiche“ weiter an: unter den 50 Physiologen, deren Artikel aus den Jahren 2007-2010 bis heute am häufigsten zitiert wurden, halten sich 20 Neuros fast die Waage zu 21 Vegetativen. Die restlichen Plätze besetzen Haut- und Tumorphysiologen sowie ein „Exot“: Jörn Rittweger (42.) ist Leiter der Weltraumphysiologie am Institut für Luft- und Raumfahrtmedizin in Köln-Porz, wo er u.a. den Einfluss der Schwerelosigkeit auf Stoffwechsel, Blutfluss und Muskulatur untersucht.

Bei aller Übermacht beherrschen die Kardios und die Neuros diese Publikationsanalyse jedoch nicht. Unter den Top 10 finden sich neben vier Kardios und drei Neuros der Berliner Hautphysiologe Jürgen Lademann (7.), der Wachstums- und Ernährungsphysiologe Michael Pfaffl (8.), TU München in Freising-Weihenstephan, sowie der Tübinger Nierenforscher ­Florian Lang (1.), der über Ionenkanäle und -transporter sowie Zellvolumenkontrolle forscht. Lang ist altgedienter Top 3-Physiologe: In diesem – mittlerweile vierten – von Laborjournal veranstalteten Physiologie-Vergleich hat er das Treppchen der drei meistzitierten Wissenschaftler nie verlassen. Und auch über längere Zeiträume betrachtet ist er immer vorne mit dabei: Laut Web of Science belegt Lang in der Kategorie „Physiology“ von 1945 bis heute nicht nur im Vergleich deutschsprachiger Forscher den ersten Platz – mit etwas Abstand gefolgt von Armin Kurtz (44.), Carsten Wagner (28.), Karl Kunzelmann (35.), Jürgen Hescheler (5.), Michael Föller (11.), Stephan Huber (17.) und Bert Sakmann (23.) – Lang ist auch im weltweiten Vergleich bis heute die Nummer 1 unter den Physiologie-Autoren. Trotz der gut platzierten Forscher ist Tübingen jedoch nicht die stärkste Stadt im Vergleich. Das ist vielmehr Berlin mit sieben Top 50-Physiologen, dicht gefolgt von Frankfurt mit deren sechs.

Bert Sakmann nahm 1991 zusammen mit Erwin Neher den Nobelpreis für Physiologie oder Medizin entgegen – für die Entwicklung der Patch-Clamp-Methode zum direkten Nachweis von Ionenkanälen in Zellmembranen. Nach solch einem Ereignis würden sich wohl die meisten zurücklehnen und auf ihren Lorbeeren ausruhen. Nicht Sakmann. Er ist zwar mittlerweile emeritiert, hat aber offensichtlich noch keine Lust, aufzuhören. 2009 zog er nach Florida, um dort das Max-Planck-Institut für Biomedizin (MPFI) mit aufzubauen und als Gründungsdirektor die Funktionen des Gehirns zu erforschen. Dabei kam auch der Spaß nicht zu kurz. Er frönte dem natürlichen Interesse des Physiologen an den Reaktionen eines lebenden Systems auf die Umwelt auf landestypische Weise: während er „Max Planck herüberholte“, lernte er das Kiteboarden – ein Vergnügen, bei dem sich Surfer von einem Lenkdrachen übers Wasser schleifen lassen, was überraschenderweise überlebbar ist. Und das Leben ist das einzige, was zählt, wie einst ein Außerirdischer in kugelsicherem Designer-Käfer-Outfit verlautbarte (siehe „The Fifth Element“).



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Letzte Änderungen: 01.10.2013