Editorial

Weizen, Genome und Ökologie

Publikationsanalyse 2013-2022: Pflanzenforschung
von Mario Rembold, Laborjournal 4/2024


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Forscher beugt sich über einen Gewächshaustisch mit jungen Versuchspflanzen.
Foto: liliyabatyrova / AdobeStock

(24.04.2024) Ein Tool zur Sequenzdatenauswertung katapultiert die drei meistzitierten Pflanzenforscher aufs Siegertreppchen. Neben den Omics gibt es Schnittmengen zu Ökologie und Landwirtschaft.

In der Reihe unserer Publikationsanalysen gibt es wenige Disziplinen, die in Sachen Zitierungen nicht von der klinischen Forschung dominiert sind. Selbst die Top 30 der Tiermediziner widmeten sich zuletzt in erster Linie SARS-CoV-2 und anderen zoonotischen Gefahren für den Menschen. Statt der Tiere stand also die Gesundheit der Zweibeiner im Fokus. Fast jede unserer Ranking-Disziplinen bietet Raum für Krebsforschung oder die üblichen Volkskrankheiten. Eine der wenigen Ausnahmen der vergangenen Monate war die Tier- und Pflanzenökologie.

Mit der Pflanzenforschung folgt ein knappes Jahr später noch einmal ein Genre, das sich klassisch biologisch ausrichtet. Allerdings ist das auch unseren Auswahlkriterien geschuldet: Man hätte nämlich durchaus Namen finden können, die dem pharmazeutischen und therapeutischen Potenzial von Pflanzenstoffen auf den Grund gehen und damit auch in pflanzenwissenschaftlichen Journalen auftauchen. Im Mittelpunkt stehen sollte aber das zentrale Interesse an der Pflanze selbst.

Editorial

Selbst wenn diesmal keine klinische Studie und kein Krebs-Artikel als Sprungbrett in unsere Tabellen taugte, so geht es in der hochzitierten Pflanzenforschung aber dennoch nicht nur um das Erforschen anderer Lebewesen als Selbstzweck, sondern immer wieder auch um handfeste menschliche Interessen. Vier der zehn meistzitierten Artikel im Analysezeitraum 2013-2022 befassen sich mit Weizen und legen den Fokus damit auf eine der wichtigsten Nutzpflanzen. Auf Platz 1 etwa schauen die Autoren auf das Weizen-Referenzgenom und diskutieren verbesserte Zuchtmöglichkeiten. Der am sechsthäufigsten zitierte Artikel sieht die globale Weizenproduktion durch steigende Temperaturen gefährdet.

Abgrenzungsprobleme

Damit sind wir beim Klimawandel und streifen außerdem die Zuständigkeit der Ökologen. So sehr wir um Grenzen zwischen den Disziplinen bemüht sind: Unter ökologisch ausgerichteten Wissenschaftlern gibt es viele, die sich auf pflanzliche Organismen spezialisiert haben. Sie sind also Pflanzenforscher. Außen vor bleiben jedoch Ökologen, die tatsächlich auf das Zusammenspiel aller möglichen Organismen schauen. Die stoßen natürlich auch auf grüne Mitbewohner und publizieren daher manchmal mit Pflanzenforschern, schauen sich aber ebenso die Biodiversität von Käfern und den Kohlenstoffkreislauf im Boden an. Dann gibt es jene, die zu Ackerbau forschen und sicher auch auf Weizenerträge und Pflanzenwachstum schauen, aber mehr die ökonomischen statt der biologischen Aspekte im Hinterkopf haben.

Zugegeben, die klare Abgrenzung zu Ökologie und Landwirtschaft ist nicht immer offensichtlich. Es mag durchaus sein, dass Sie Autorinnen und Autoren finden, die man zumindest als Teilzeit-Pflanzenforscher durchwinken könnte, die aber nicht in unserer Liste der meistzitierten „Köpfe“ stehen. Bei strittigen Fällen haben wir geschaut, ob der Kandidat einen signifikanten Anteil seiner Artikel in Fachblättern veröffentlicht hat, die der Pflanzenforschung zuzurechnen sind. Dominierten aber ganz andere Disziplinen wie etwa Mikrobiologie, Ökonomie oder gar Meteorologie, dann war das für uns ein starkes Argument gegen die Aufnahme in die Liste.

Indiz für ein genuines Interesse an der Pflanzenforschung ist natürlich die Tätigkeit an einer botanischen oder pflanzenwissenschaftlich benannten Einrichtung – aber auch diese Institutsbezeichnungen können historisch geprägt sein. Neben dem Großteil klar erkennbarer Pflanzenforscher mussten wir also auch einige Einzelfallentscheidungen treffen. Nehmen wir Marcel van der Heijden von der Abteilung Pflanzen- und Mikrobiologie der Uni Zürich als Beispiel. Agrarökologie und Mikrobiologie in der Tätigkeitsbeschreibung sprechen eher gegen eine Berücksichtigung für dieses Ranking. Doch seine mikrobiologischen Publikationen drehen sich um Mikrobiome im Wurzelwerk der Pflanzen und die Auswirkung dieser Lebensgemeinschaften auf das Pflanzenwachstum. Folglich ist er für die „Köpfe“-Liste qualifiziert und belegt dort Platz 13.

Übrigens haben insgesamt fünf der dreißig meistzitierten Pflanzenforscher ein Klingelschild in Zürich – an einem Institut der Uni oder der ETH. Keine andere Stadt taucht so häufig im aktuellen Ranking auf.

Der doppelte Beat Keller

Aus Zürich kommt auch Beat Keller. Er forscht am Department Umweltwissenschaften der ETH – nein, falsch, am Institut für Pflanzenbiologie der Uni. Oder an beiden Einrichtungen? Die weitere Recherche ergab, dass es in Zürich zwei verschiedene Pflanzenforscher mit dem Namen Beat Keller gibt. Zum Glück sind sie durch ihre Identifier unterscheidbar. Eigentlich jedenfalls – denn tatsächlich hat sich die ID des universitären Beat Kellers in der Web-of-Science-Datenbank dreimal unrechtmäßig in Publikationen des Namensvetters von der ETH geschlichen. Und einige pflanzenbezogene Paper mit Beat Keller aus Zürich in der Autorenliste waren ganz ohne ID und teils mit uneindeutiger Adressangabe. Hier von Hand für Ordnung zu sorgen, ist (euphemistisch ausgedrückt) eine Herausforderung.

Fällt uns solch eine Kuriosität auf, sind wir natürlich bemüht, den Fall sorgfältig aufzuklären. Es versteht sich aber von selbst, dass wir nicht für jeden potenziellen Top-30-Kandidaten sämtliche Datenbankfehler aufspüren können. Fehlt bei häufigen Namen wie Christian Müller oder Stefanie Schneider ein Identifier, haben wir in vielen Fällen gar keine Chance, die exakte Zitierzahl mit letzter Sicherheit zu ermitteln.

Was tun mit Konsortien?

Im Fall Beat Keller schaffte es der ETH-Vertreter mit 309 Zitierungen aus zehn Publikationen nicht unter die Top 30, wohl aber sein Namensvetter von der Uni. Der belegt Platz 23 mit knapp 8.900 Zitierungen.

Wo wir aber gerade die Ungenauigkeiten der Datenbank angesprochen haben: Hier gehört auch das Thema der Gruppenautorschaften mit hinein. Bei großen Genomprojekten oder epidemiologischen Erhebungen sind nicht immer alle Einzelautoren genannt, sondern oft steht dort ein Verweis auf ein Konsortium oder eine Gruppe. Die zugehörigen IDs sind für gewöhnlich erfasst. Über die Namenssuche können wir einen Beteiligten aus einem Konsortium jedoch nicht aufspüren.

Hätte etwa Thomas Wicker, ebenfalls Uni Zürich und Kollege von van der Heijden, keinen Identifier hinterlegt, so hätten wir mehr als 500 seiner Zitate unberücksichtigt gelassen. Die nämlich bekommt er als Mitwirkender im International Wheat Genome Sequencing Consortium (IWGSC), das als Gruppenautor auf einem der „Articles“ genannt ist (Science 361(6403): eaar6089).

Leider können wir nicht nachprüfen, wer aus solch einem Konsortium wirklich individuellen Einfluss auf einen Forschungsartikel hatte. Bei einigen Autoren zeigt der Blick in die Originalpublikation etwa, dass sie dort überhaupt nicht als Mitwirkende genannt sind und die ID wohl durch einen Fehler zugeordnet wurde. Somit scheint die Überlegung legitim, künftig nur „Articles“ für die Zitierungen zu werten, in denen der Name auch unter den regulären Autoren explizit erwähnt ist. (Schreiben Sie uns gern Ihre Meinung zum Thema „Konsortien“ und „Gruppenautorschaften“).

Wicker jedenfalls stünde auch ohne Wertung dieses einen Papers auf Platz 16 der meistzitierten „Köpfe“.

Mit einem Paper in die Top 3

Die Schnittmengen zur Ökologie und zum Landbau haben wir angesprochen. Grundsätzlich aber sieht man recht klar, ob jemand an Pflanzen forscht. So gab es auch bei den Genomikern und Transkriptomikern kaum Zweifel daran, wer in die „Köpfe“-Tabelle gehört und wer nicht.

Dennoch mag man es als ungerecht empfinden, wenn jemand an einem Paper zur Analyse von Sequenzdaten mitschreibt, das sich gar nicht speziell an die Pflanzenforscher-Community richtet, aber mit einem Schlag um die 35.000 Zitierungen einbringt. So geschehen bei Anthony Bolger auf Platz 3 und Marc Lohse auf Platz 2, beide im Analysezeitraum zeitweise tätig am Max-Planck-Institut (MPI) für Pflanzenphysiologie in Potsdam-Golm. Beide haben Trimmomatic mitentwickelt, ein Tool für die Verarbeitung von Illumina-Sequenzdaten (Bioinformatics 30(15): 2114-20). Lohse hat nur zehn Artikel im Analysezeitraum verfasst, und ohne Trimmomatic wäre keiner der beiden in den Top 30 gelandet. Trotzdem dominieren bei beiden die „pflanzlichen“ Themen überdeutlich in ihrer Publikationshistorie. Und auch Platz 1 der „Köpfe“ steht dank dieser Publikation ganz oben auf dem Siegertreppchen: Björn Usadel, tätig am Forschungszentrum Jülich und der Uni Düsseldorf.

Das Trimmomatic-Paper haben wir nicht für die Tabelle der meistzitierten Artikel berücksichtigt, weil es sich eben allgemein der Sequenzdatenverarbeitung widmet. Lohse taucht aber noch einmal im Ranking auf, nämlich als Erstautor des am siebthäufigsten zitierten Artikels. Auch hier stellen die Forscher Genomik-Software vor, allerdings speziell für die Auswertung von Sequenzdaten aus Mitochondrien und Plastiden. Als Leserschaft dürften sich also vor allem Pflanzenforscher angesprochen fühlen, und auch die Autorenliste mit Seniorautor Ralph Bock vom Golmer MPI und Platz 22 der meistzitierten „Köpfe“ spricht dafür, dieses Paper der Pflanzenforscher-Community zuzuordnen.

Pilze in der Pflanzenforschung?

Und was machen wir mit den Pilzen? Historisch ein Feld der Botanik, auch wenn die Pilze taxonomisch in eine ganz andere Schublade gehören. Paper aus dieser Richtung haben wir außen vor gelassen, aber in der „Köpfe“-Liste sollte Robert Lücking vom Botanischen Garten und Botanischen Museum in Berlin nicht fehlen. Während andere Pilzforscher eher der Mikrobiologie oder terrestrischen Ökologie zuzuordnen sind, interessiert sich Lücking neben Pilzen im Wald auch für Flechten und Moose. Er belegt Platz 20.

Zur Geografie haben wir bereits vorweggenommen, dass Zürich die Nase vorn hat. Gleich darauf folgen aber das MPI für Pflanzenphysiologie in Potsdam-Golm sowie das Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung (IPK) in Gatersleben – beide mit je vier „Köpfen“, die im Analysezeitraum dort zu Hause waren. Die beiden einzigen Frauen der Top 30 sind Nina Buchmann (8.), ETH Zürich, und Heidrun Gundlach (24.), Helmholtz Zentrum München. Dass die hochzitierte Pflanzenforschung so überdeutlich männlich dominiert ist, überrascht durchaus.


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Letzte Änderungen: 24.04.2024